Mit der Tochter in einem Zimmer

Armut Unsere Autorin bezieht kein Hartz IV, weiß aber sehr gut, was es heißt, arm zu sein. Sie ist alleinerziehend, hat drei Kinder und kein eigenes Zimmer
Ausgabe 16/2018
Der Wohnraum pro Kopf wächst statistisch gesehen. Nur die Armen bleiben davon ausgeschlossen
Der Wohnraum pro Kopf wächst statistisch gesehen. Nur die Armen bleiben davon ausgeschlossen

Foto: Imago

Was ist arm? Jens Spahn meint, es zu wissen: Hartz IV jedenfalls nicht. Ich weiß es besser, meine drei Kinder und ich erleben es jeden Tag. Beispielsweise so beengt zu wohnen, dass ich als Erwachsene kein eigenes Zimmer habe. Beispielsweise die Frage der Tochter, die gerade Abi macht, ob wir Geld haben, um ihr ein Kleid für den Abiball zu bestellen – 50 Euro. Beispielsweise Dauerstress: jeden Monat zu überlegen, wie wir über die Runden kommen. Darunter leiden vor allem die Kinder.

Wir beziehen kein Hartz IV, aber ich habe mal Wohngeld bekommen, für die Sozialwohnung, in der wir wohnen. Für beides bin ich dankbar. Trotzdem ist es schwer, zurechtzukommen. Geringes Einkommen heißt wenig Platz zum Wohnen, heißt, viel aufeinanderzuhocken, weil kaum Geld für Freizeitaktivitäten da ist. Obwohl ich arbeite, reicht es manchmal nur gerade so – vor allem, wenn ich, wie jetzt im Frühjahr, Möbel kaufen muss. Die Kinder sind zu groß geworden für Kleinkindmobiliar. Sie wünschen sich ein eigenes Zimmer, und das ist dringend nötig, um den Familienfrieden zu wahren. Niemand, der bei Verstand ist, würde eine lebhafte, quirlige Neunjährige mit einem introvertierten Zwölfjährigen in ein Zimmer sperren. Was sechs Jahre lang gut ging, sorgte im vergangenen Herbst für Dauerzoff, der uns alle zermürbte. Und die große Tochter braucht ihre Ruhe, um fürs Abi lernen zu können.

Ich räumte mein kleines Schlafzimmer, schleppte mein Bett ins Kinderzimmer, dazu meine Kleiderstange, den Nachttisch und das Bücherregal. Mehr besitze ich ohnehin nicht. Das steht jetzt alles direkt neben dem Himmelbett der Jüngsten.

Es war eine gute Entscheidung, nun herrscht wieder Frieden in der Hütte. Wie ich mittlerweile weiß, bin ich nicht allein damit. Sehr viele Frauen schrieben mir, als ich über die Umzugsaktion in meinem Blog berichtete, dass auch sie ihr Zimmer hergegeben hätten und auf dem Sofa im Wohnzimmer und in Durchgangszimmern schlafen. Einige alleinerziehende Mütter haben sogar nur in der Küche Platz zum Schlafen.

Das ist traurig und skandalös in Zeiten, in denen der Wohnraum pro Kopf – zumindest statistisch gesehen – größer wird. Die Armen indes bleiben davon ausgeschlossen, sie haben immer weniger Platz. Dafür steigt die Kinderarmut stetig. Zudem sorgt die neoliberale Mietenpolitik dafür, dass sozial schwächere Familien aus den Innenstädten an die Peripherie gedrängt werden. Keine andere Chance zu haben – auch das ist Armut.

Christine Finke ist Anglistin, Stadträtin in Konstanz am Bodensee und selbstständige Autorin und Bloggerin. Ihr Blog Mama arbeitet beschreibt ihr Leben als Alleinerziehende und ist einer der erfolgreichsten dieser Art in Deutschland

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