Jutta Ditfurth, "Schön, wenn Kapitalparteien erschöpft wären", Freitag, 22. 10. 1999
Alle Schreibfaulheit über Bord werfend sehe ich mich genötigt, zu Jutta Ditfurths Aufsatz Stellung zu beziehen. Ich will dies tun, indem ich einige Fragen an Frau Ditfurth stelle.
Erste und zweite Frage:
Sie setzen in Ihrem Aufsatz die kapitalistische Gesellschaft gleich mit der parlamentarischen Demokratie. In dem auf der gleichen Seite abgedruckten Scheerschen Artikel "Parlamentarier schleifen die eigenen Institutionen" wird die Erhaltung des demokratischen Verfassungsstaates als ein zentrales linkes Projekt bezeichnet. Weicht Ihre Meinung also ganz dezidiert von der von Hermann Scheer ab oder ist es vielleicht gar in Ihrem ureigenen Interesse, den parlamentarischen Verfassungsstaat, also die parlamentarische Demokratie - und damit aber nach Ihrem Verständnis auch den Kapitalismus - zu erhalten?
Dritte Frage:
Sie zitieren trefflich aus dem Kapital, wogegen an sich nichts einzuwenden ist. Aber eben nur an sich, denn die Art und Weise des Zitierens, die - manchmal leise; meistens unverhohlen - bei den Zitaten mitschwingende Polemik wird so mancher wenig gutheißen können. Noch dazu, wenn die Zitate in solch wenig pragmatischen Aufforderungen zu Revolutionen enden wie: "Wer links sein will, wird begreifen müssen, dass der Kapitalismus nicht reformierbar ist. Das ist keine Frage von Moral, sondern von Erkenntnis." Wollen Sie, verehrte Frau Ditfurth, tatsächlich erkannt haben, dass der Kapitalismus seit seiner Entstehung keine Reformen erfahren hat?
Vierte und fünfte Frage:
Sie beklagen das Fehlen einer "interventionsfähigen sozialen Gegenmacht". Am meisten würde es Sie augenscheinlich freuen, wenn diese Gegenmacht zur sozialen Revolution transformiert werden würde. Klingt das nicht genau wie die "reine Lehre" von Sarah Wagenknechts "Kommunistischer Plattform"? Und wie lässt es sich erklären, dass - trotz heutiger sozialer Schieflagen - kaum ein ehemaliger DDR-Bürger diese "seine" Republik zurück haben möchte?
Sechste und letzte Frage:
Sie postulieren, dass ein menschenwürdiges Leben nur in einer Gesellschaft ohne Lohnarbeit, Geld und Waren vorstellbar wäre. Es sollte auffallen, dass - auch bei bewusster Inkaufnahme kapitalistischer Ausbeutung der Ware Arbeitskraft - für die übergroße Mehrzahl der Bevölkerung der entwickelten westlichen Industriestaaten das Leben durchaus als menschenwürdig eingestuft werden kann. Insoweit kann die sechste und letzte Frage nur lauten, ob Sie jemals versucht haben, Ihre niedergeschriebenen Erfahrungen mit der Wirklichkeit in Deutschland abzugleichen!?
Stefan Tschök
Ein Phrasenpapier ?
Der Artikel von Jutta Ditfurth hat mich zwar sehr interessiert, aber leider muß ich bemerken, dass er durch die Komprimierung der Gedanken und Darlegungen wahrscheinlich nur von marxistisch vorgebildeten Genossen verstanden wird. Ich will den Inhalt nicht anzweifeln, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass manche Leser ihn als Phrasenpapier bewerten und ihn zur Seite legen. Lieber etwas weniger Probleme etwas ausführlicher erläutern als so, wie es in diesem Artikel umgekehrt praktiziert wurde. T. Ringelhan, Berlin
Mit Blumen überschüttet
Ausgabe zum zehnten Jahrestag des Mauerfalls, Freitag, 5. 11. 1999
Zu Ihrer ausgezeichneten und sehr gelungenen Mauerabbruch-Wiederaufarbeitungs-Erinnerungs-Ausgabe gratulieren wir Ihnen. Da wir seinerzeit in Ankara lebten, haben wir die Ereignisse des Sommers und Herbstes 1989 nur per Zeitung, Radio, TV und durch viele Telefonate verfolgt. Ab 9. November 1989 überschütteten uns unsere türkischen und ebenfalls in Ankara lebenden ausländischen Freunde mit Blumen und Glückwünschen. - Wie schade, dass die damalige Hochstimmung einem so elenden Katzenjammer gewichen ist. Ingrid-Maria Keimel-Metz und Thomas Metz, KalkuttaGegengift
Ich gratuliere zu der gelungenen Ausgabe über den 9. November, alle Aufsätze sind ein Gegengift für das, was es in der FAZ, im Spiegel, zum Teil auch anderswo zu lesen gibt. Ihrer Zeitung bekunde ich meine tiefe Verbundenheit. Gerd Rienäcker, Mühlenbeck
Ergiebig
Ich möchte mich - wenn ich schon die Leser-Umfrage verpasst habe - auf diesem Wege einmal ganz allgemein für die äußerst ergiebige Berichterstattung zur "Wende" vor zehn Jahren bedanken. Mit besonderem Gewinn habe ich die Originalartikel von damals gelesen und mich daher auch über den ausführlichen Wiederabdruck von Marina Achenbachs Text zum 4. November 1989 gefreut. Weiter so. Kasten Velberger, Essen
Überzogen und tendenziös
Marco Carini, "Feilschen um die Vergangenheit"; Freitag, 29. 10. 1999
Man traut sich wieder von Moral und Ethos zu reden. Dem Freitag bedeuten beide Begriffe - in einem politischen Sinne und ohne pathetischen Beigeschmack - viel. Auch deshalb schätzt man diesen David unter den deutschsprachigen Wochenzeitungen. Auch deshalb tun die Steinwürfe, die zuweilen aus seiner Redaktionsstube kommen, diesem Land und seinen Leuten so gut. - Im Falle von Marco Carini und seinem völlig überzogenen und tendenziösen "J'accuse" jedoch scheint die Redaktion von jeglichem publizistischen Ethos verlassen. Carini ist seit Sommer Pressesprecher der oppositionellen "Regenbogen"-Gruppe, einem Zusammenschluss von fünf ehemaligen Grünen-Abgeordneten im Hamburgischen Landesparlament. In dieser Eigenschaft vertritt Herr Carini konkrete politische Interessen auch in Sachen "Entschädigung für ehemalige Zwangsarbeiter". Es wäre das Mindeste gewesen, die Leserinnen und Leser des Freitag hierauf aufmerksam zu machen. Noch schöner wäre es freilich gewesen, hätte der Freitag dieses höchst sensible Thema einem in der Sache unabhängigen Journalisten übertragen, der die unterschiedlichen politischen Positionen dann hätte nebeneinander stellen können. Carinis Polemik, seine die Sachlage zum Teil erheblich verzerrende Darstellung und die Lesertäuschung des Freitag hinterlassen einen miserablen Nachgeschmack. Von Moral und Ethos wollen wir lieber nicht reden. Armin Huttenlocher, Pressesprecher der SPD-Fraktion in der Hamburgischen BürgerschaftAnmerkung der Redaktion:Marco Carini hat bereits, bevor er als Pressesprecher für die "Regenbogen"-Gruppe arbeitete, für den "Freitag" geschrieben - wir sahen keine Veranlassung, nachdem er diese Funktion übernommen hatte, auf seine Autorenschaft zu verzichten. Richtig ist indes, dass es bei besagtem Artikel eine entsprechende Fußnote hätte geben müssen.
Wandel durch Annäherung
Jochen Hippler, "Panzerschlacht", Wolfgang Gehrcke, "Ziviler Realismus", Freitag, 29. 10. 1999
Jetzt versucht es die Führungsetage um Fischer mit einer Kampagne von oben. Dabei ist die Widersprüchlichkeit entlarvend für die Unfähigkeit des Außenministers. Obwohl Fischer die Aufnahme der Türkei in die EU befürwortet, startet er eine Kampagne gegen das Land, weil er vermutet, dass er mit diesem Thema emotional im pazifistischen Lager Punkte sammeln kann. Das hat nichts mit kluger strategischer Politik zu tun, die überlegt, wie die Verhältnisse in der Türkei verbessert werden können ... Dies ginge nämlich nur durch eine wechselseitige Sicherheit und Zusammenarbeit. Eine rot-grüne Außenpolitik, die im Falle unseres Handels- und Militärpartners Türkei auf der sozialdemokatischen Idee des Wandels durch Annäherung gründete und den Türken tatsächlich eine realistische, zeitnahe Perspektive auf einen Beitritt zur EU ermöglichte, hätte gute Chancen auf Erfolg. Die Entwicklung Griechenlands und Spaniens nach der Überwindung ihrer Diktaturen wäre hierfür beispielhaft. Olaf Schäfer, BerlinEinen Bärendienst erwiesen
Ulrike Baureithel, "Eine Wissenschaft für sich", Freitag, 22. 10. 1999
Ich schätze den scharfen Blick der Autorin und bin etwas überrascht, dass Sie in diesem Artikel klassischen Verlautbarungsjournalismus betreibt. Ist denn eigentlich schon irgend etwas bei den Gender Studies herausgekommen außer Lehrstühle und Universitätsstrukturen. Warum kommt praktisch nur eine Frau von Braun zu Wort. Ich hätte gern etwas über Ergebnisse der Forschung zu ein oder zwei der vielen im Artikel aufgeworfenen Fragen gelesen, aber Sie haben ein erweitertes Info-Blatt produziert, dessen Lektüre um so mehr verärgert, als die Autorin im zweiten Abschnitt einen beschönigenden Blick auf die "Umgestaltung der Hochschullandschaft der DDR" wirft. Wie wäre es gewesen, ein paar kritische Thesen zum Thema zu bringen? Etwa, dass die Gender-Frauen sich genau wie die Akademiker anderer männlich dominierter Bereiche im Westen auf die Osthochschulen gestürzt haben, um an Lehrstühle und Stellen zu gelangen, die im Westen nicht zu bekommen waren, oder dass Gender Studies Institute mit ihrer zwar beklagten, aber selbst gewollten Ghettoisierung der Durchsetzung von Frauenquoten und -rechten in anderen Hochschulbereichen einen Bärendienst erweisen, weil die AktivistInnen ihre Spielwiese haben, aber in anderen Bereichen nichts bewirken. Hans Heukenkampf, Berlin
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