Mit Didgeridoo!

Musik Morrissey ist in letzter Zeit berechenbar geworden. Doch auf seinem neuen Album tut sich was
Ausgabe 28/2014
Mit Didgeridoo!

Bild: MARTIN BERNETTI/AFP/Getty Images

Ist es möglich, dass sich der britische Sänger doch noch einmal neu erfindet? Fünf Dinge haben uns beim Hören von Morrisseys zehnter Soloplatte World Peace Is None Of Your Business überrascht.

1. Flamenco, Mariachi-Klänge und Ballsaal-Balladen: Statt schlecht gelaunter Melodien und ungelenker Riffs wartet World Peace Is None Of Your Business mit einer erstaunlich breiten Palette an musikalischen Sounds auf. Anstelle der gewohnten Indie-Gitarre hören wir Harfen, Kornett, Klarinetten und sogar ein Didgeridoo. Neuzugang Gustavo Manzur an den Keyboards hat nicht nur das treibende Neal Cassady Drops Dead und das verzweifelte Earth Is the Loneliest Planet beigesteuert, sondern auch Morrisseys langjährige Songwriter Jesse Tobias und Boz Boorer aus ihrem Easy-Listening-Dämmerschlaf geholt. Beide haben ihrem Arbeitgeber die außergewöhnlichsten und erfreulichsten Stücke seit langem geschrieben. Man kann Morrissey dieses Mal nicht vorwerfen, er würde den alten Smiths-Sound aufwärmen.

2. Moz hat seinen schwarzen Humor wiedergefunden: Als Beleg sei erneut Neal Cassady Drops Dead angeführt, in dem er über Akne-geplagte Kinder grantelt. Schön ist auch Staircase At The University, eine bravuröse Jodelnummer, die einen Selbstmord unter Prüfungsstress als das Erheiterndste erscheinen lässt, was man mit seinem Sommer so anfangen kann.

3. Im Dubliner Mountjoy-Gefängnis einzusitzen, macht keinen Spaß: Monothematische, unzweideutige Lieder sind bei Morrissey eine Seltenheit. Er neigt dazu, mit Bezügen und Anspielungen einen Rahmen zu schaffen, in dem sich das lyrische Ich frei bewegen kann. Mountjoy ist da die Ausnahme, der Song handelt von dem berühmt-berüchtigten Dubliner Gefängnis, in dem hochrangige IRA-Mitglieder einsaßen. Wenn man das Lied hört, traut man Morrissey eine Zukunft als moralische Instanz zu, die schreckliche Historienballaden mit pädagogischem Anspruch zur Besserung der Jugend zum Besten gibt.

4. Leider hält Morrissey sich nicht selbst an den Titel seines Albums: „Each time you vote, you support the process“, lautet der Refrain des Titelsongs – eine nichtssagende Einsicht, die nur ein Stand-up-Comedian oder Popstar vortragen kann, ohne mit der Wimper zu zucken. Die nihilistisch-ablehnende Haltung unserer Zeit mag Mozzer damit treffen. Wir brauchen ein völlig neues System! Eine Diskussion, welches Instrument besser geeignet wäre, die Gesellschaft neu zu organisieren als die Wahlurne, findet aber nicht statt.

5. Noch vor Ende des Monats wird es einen #MorrisseySexism Shitstorm geben: Ob Morrisseys langjährige Bekanntschaft mit der Feministin Germaine Greer und einigen weiblichen Filmikonen wohl ausreicht, um ihn mit einem Lied durchkommen zu lassen, das den Titel Kick The Bride Down The Aisle trägt? Wörtlich übersetzt heißt das so viel wie: „Tritt die Braut zum Traualtar runter.“ Soll wohl lustig gemeint sein und sich gegen die Institution der Ehe richten. Falls das nicht ankommt, kann Morrissey aber auf I‘m Not A Man verweisen, in dem er männliche Rollenklischees abkanzelt: „Wheeler-dealer, mover, shaker, casanova/ Beefaroni, oh but lonely.“ Er mag kein Mann in diesem Sinne sein, doch auf seine ihm eigene Art ist es ihm gelungen, uns aufs Neue zu bezaubern.

World Peace is None of Your Business Morrissey Capitol/ Universal 2014

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