Angela Merkel Macht verändert den Menschen, heißt es. Doch in den zahlreichen Biografien und Bildbänden über Angela Merkel ist der Mensch hinter der Rolle nur schwer zu erkennen
Wahlkampfzeiten verlocken Autoren wie Verlage, Biografien prominenter Politiker en gros auf den Markt zu schütten. Eine so rasant ins Rampenlicht geratene Politikerin wie Angela Merkel, die alle Hürden im Schnelllauf übersprang und als erste Frau in Deutschland auf dem wichtigsten Sitz der Regierungschefin landete, reizt selbstverständlich besonders. Bildbände, sorgfältig und staatstragend retuschiert, gibt es ebenso wie Untersuchungen zu den Wurzeln des protestantischen Glaubens der Angela Merkel und den daraus folgenden politischen Strategien.
Der Korrespondent für die „Verlagsgruppe Bistumspresse“, Volker Resing, meint die Kanzlerin als Initiatorin einer anderen Auffassung von christlicher Partei beschreiben zu können, die „Gestal
222;Gestaltungswille und Glaube“ auseinander halten möchte. Vor allem interessiert ihn, wie die katholische Klüngelgesellschaft bislang ihre Figuren fast nach Belieben hin- und her schob. Das war so selten zu lesen.Der Machtmensch Angela Merkel im Vergleich zu ihren Vorgängern beschäftigt den Politikprofessor und Vorsitzenden der Konrad-Adenauer-Stiftung Gerd Langguth. Er konstatiert „eine ziemliche Willens- und Nervenstärke ... sie ist keine typische ‚Aussitzerin’ und will beweisen, dass sie die Probleme erkennt. In ihren Reaktionsweisen ist sie allerdings alles andere als spontan“.Das sieht die SPD anders. Und auch Dirk Kurbjuweit, Spiegel-Reporter widerspricht. Die ursprünglich mit einem neoliberalen Programm gestartete Kanzlerin habe sich noch während ihrer ersten Amtszeit an einen „Linksruck“ in der Bevölkerung angepasst: „Angela Merkel und die Große Koalition sind das Wagnis, gegen das Volk zu regieren, nicht eingegangen“.Ohne FeindbildStattdessen schmiege „sie sich an die vermeintlichen Wünsche der Bürger“ an, „verzichtete auf Führung“. Mit einer Ausnahme: „Der Einsatz deutscher Truppen in Afghanistan wurde verlängert und ausgeweitet.“ Stärker als die gegenwärtige Krise wird dieser Einsatz Deutschland und vor allem junge Männer in der Zukunft noch belasten.Mariam Lau, ehemals Taz, heute Chefkorrespondentin der Welt, untersucht, was von den Vorstellungen einer Erneuerung geblieben ist. Nach dem Ende des sozialistischen Weltsystems war vor allem der CDU ihr Feindbild abhanden gekommen. Die Partei, die im Kampf gegen den Sozialismus ihr Hauptziel sah, musste sich neu erfinden. Angela Merkel schien dafür geeignet.Ein Buch „Kanzlerin aus dem Osten“ gibt es nicht. Die Herkunft spielt zwar in jeder Untersuchung eine Rolle, betont wird sie nicht. So, als hätte sie der Ort, an dem sie aufwuchs, nur tangiert, nicht geprägt. Bei der Eröffnung der westdeutschen Kunstausstellung 60 Jahre – 60 Werke verhält sie sich, als sei ihr Ostkunst gänzlich fremd, beim Pflichtbesuch im Gefängnis der Staatssicherheit in Hohenschönhausen hat sie mit all dem scheinbar gar nichts zu tun. Sie erstarrt zur politischen Ikone, die eben so gut aus dem Weltraum kommen könnte. Sachlich, interessiert, fremd.Fotos von Laurence Chaperon rücken deshalb bewusst ihr privates Umfeld in den Mittelpunkt. Der Betrachter stellt allerdings rasch fest, dass er die Frau hinter dem Amt dennoch kaum erkennt. Wer die alte Angela Merkel sucht, findet sie noch am ehesten in einigen Blicken und ihrem Lächeln, beispielsweise, wenn sie auf die Eltern schaut. Die Bilder beweisen immerhin: Hochglanzfotografien sind nicht identisch mit der Person. Der scheinbar unendliche Blick aus dem Raumschiff Bundeskanzleramt über eine fast menschenfreie Grünfläche hat allerdings fast alle Fäden ins reale Leben gekappt.Die Biografien sind freundlich bis kritisch. Nicht so scharf abgrenzend, wie die der konservativen Fraktion der Union in Gestalt der Brüder Jörg und Wulf Schönbohm. „Das politische Profil der Union verschwimmt zunehmend in einer gefühligen, scheinliberalen Politische-Mitte-Soße, angereichert durch technokratische Einsprengsel“, wettern sie, lange bevor das Management der gegenwärtigen Wirtschaftskrise sie zu noch kritischeren Bemerkungen hinriss: Union auf SPD-Kurs, auf dem Weg zurück zum gescheiterten Sozialismus und so weiter. Sie habe die CDU ihrer herkömmlichen Werte beraubt und deshalb die rechte Mitte in einer Art vernachlässigt, die zur Bildung einer neuen Partei führen könnte. „Und dann Gute Nacht, Union“.Andere aus der Partei der Kanzlerin (nachzulesen bei Lau und Kurbjuweit) beklagen das fehlende „Familiengefühl“, das die Politikerin aus dem Osten, Protestantin ohne Stallgeruch, die Quereinsteigerin eben, nicht mitbringe, die deshalb auch nicht ahnen könne, warum ihre Parteifreunde überhaupt in dieser CDU sind (Resing).Ohne FührungWieder andere werfen ihr in der gegenwärtigen Debatte den teuersten Wahlkampf aller Zeiten vor. Um die Wette verteile sie mit der SPD Wahlgeschenke, die am Ende nur dazu führen könnten, marode Unternehmen als Staatseigentum weiter zu führen, bis, ja bis die Wahl gewonnen und die Milliarden auf irgendeine Weise vom Steuerzahler zurückgeholt werden müssten.In Wahlzeiten sitzen die Worte über Konkurrenten locker. Nach der Lektüre aller Bücher sieht es allerdings so aus, als gäbe es Konkurrenz für Angela Merkel in der eigenen Partei nicht, wohl aber zahlreichere Kritiker als im restlichen politischen Spektrum. Der Kanzlerkandidat der SPD Steinmeier moniert, sie moderiere, statt zu führen.Die schwere Rezession verunsichert auch die CDU-Rebellen, die sich der Wirkung dessen, was sie selbst für richtig und machbar halten, nicht mehr so sicher sind. Parteifreunde ebenso wie der Wunschpartner FDP stimmen deshalb am Ende von Krisensitzungen den Kompromissen regelmäßig zu.Was sie nicht daran hindert, kurze Zeit später zu ihrer alten Kritik an der Kanzlerin zurück zu kehren. Dass die SPD Mühe hat, sich gegen diese Angela Merkel zu profilieren und erst nach dem Europawahldesaster wagt, sie anzugreifen, gibt der von den Schönbohms beklagten Soße immerhin einen sehr pikanten Geschmack.Das Ganze könnte auch SPD-Strategie sein, wie Mariam Lau zu bedenken gibt: Die Kanzlerin bei ihrem Umgang mit der gegenwärtigen Wirtschaftskrise so weit in das eigene Terrain zu treiben, dass die Kritiker in der Union Oberwasser gewinnen und Stimmen für die SPD gewonnen werden können. Ist es aber nicht, wenn doch, wäre sie nach hinten losgegangen.Der weltpolitische Umgang mit dieser Krise ist schließlich ähnlich. Und er kommt den Vorstellungen dieser Kanzlerin entgegen. Bei der Überreichung der Ehrendoktorwürde der New School for Social Research in New York an Merkel sagte der Laudator: Sie habe in der DDR in „einer forcierten Passivität“ gelebt, die in ihr den entschiedenen Willen zu verantwortungsvoller Machtausübung entwickelt habe. Merkel hat euphorisch gedankt.Mit KompassMacht verändert, lautet eine alte Weisheit. Und sie verändert nicht erst dann, wenn die Politik eines Landes zu verantworten ist. Normalerweise findet Veränderung schleichend statt, bei Merkel sind die Zeiträume so gerafft, dass ein ganz anderer Mensch zu agieren scheint. Selten, ganz selten – im Umgang mit dem amerikanischen Präsidenten zum Beispiel – scheint noch einmal eine unsicher-verschämt handelnde Frau durch.Ansonsten, so mehrere Autoren, folge sie einem „inneren Kompass“, der sehr viel mit ihrer naturwissenschaftlichen Profession zu tun hat: Politische Fragen wie Wissenschaftsprobleme in logische Zusammenhänge ordnen, Tatsachen analysieren, Schlüsse ziehen und daraus Handlungen ableiten. Das ist weit weniger gefühlig, als das, was ihre konservativen Kritiker tun. Das Problem aber ist, Menschen und Gesellschaften sind, anders als naturwissenschaftliche Gesetze, keine Tatsachen. Und so neigt die Politikerin dazu, sich möglichst lange im Schatten von möglichst großen Gruppen zu halten, zu hören, Figuren zu dirigieren und zu sehen, wie sie sich auf der Bühne bewegen. Das hält Optionen offen und beschädigt die Kanzlerin nicht allzu sehr.Sie sieht sich deshalb auch als strategisch agierende, dem Ursprungsgedanken des Grundgesetzes verpflichtete Regierungschefin. „Staat und Politik haben sich vor den Einzelnen zu stellen und seine Würde zu garantieren“, betont sie, unabhängig von religiösen und politischen Konfessionen. In Grenzen, versteht sich, sonst wäre sie nicht eine der ersten gewesen, die den Bezug zum Christentum ins Grundgesetz schreiben wollte.Die Auswirkungen des gegenwärtigen Wirtschafts-Crashs liefern für sie allerdings unerwartet das Profil schärfende Instrument, auf dem sie ihre Metamorphose vom geschickt, naiv taktierenden Kohl’schen Mädchen hin zur Managerin großer weltpolitischer Krisen zu vollenden trachtet. Nicht mehr „nur“ außenpolitisch, nicht mehr „nur“ als diejenige, die in der Spendenaffäre mit weißer Weste glänzte, ihren Förderer zu Fall brachte, die Partei aber rettete, sondern Gestalterin der Wirtschafts- und Innenpolitik will sie sein. Und obwohl bislang keine ihrer Strategien voll aufgegangen ist, scheint ihr rötlich übertünchter, neoliberaler Kurs bei den Wählern anzukommen. Ihr Ehrgeiz: Ich will mehr. „Schönwetterkanzler(in)“ kann schließlich jeder.
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