Mit Foucault durch Neukölln

Migrationsdebatte Judith Butler fordert Allianzen zwischen ethnischen und sexuellen Minderheiten. Sie selbst ist allerdings daran gescheitert

Die bekannte Gender-Theoretikerin Judith Butler denkt „Queer Theory“ mit „Postcolonial Theory“ zusammen, sprich: Für die Autorin von Das Unbehagen der Geschlechter müssen Fragen von Gender, Sexualität und ethnischer Zugehörigkeit gleichermaßen ihr Recht beanspruchen, will man zu einem Demokratieverständnis kommen, das die Ideale sozialer Gerechtigkeit nicht verrät. Minderheitensolidarität ist kein „Multikulti light“. Vielmehr stellt Butler klar, dass Demokratie offen sein muss für den Anderen in seiner Fremdheit, die tatsächlich auch befremdend sein kann. Toleranz erweist sich daran, wie sehr man Lebensentwürfe aushält, die man nicht versteht oder mag. Integration kann nicht einfach Assimilation heißen. So weit, so gut.

Butler ist kein Realo

Aber wie verhindert man von hier aus, dass Gewalt von männlichen Jugendlichen aus Migrantenfamilien mit streng patriarchalen Strukturen nicht als romantische „Fremdheit“ verharmlost bzw. tabuisiert wird? Butler beantwortet diese Frage nicht, sie ist kein Realo. Damit weicht sie leider gerade den kritischen Punkten der Islam-Debatte aus. Butlers Wirklichkeitsverständnis ist geprägt von historischen Machtanalysen, die von den Erfahrungen im eigenen Kiez weit entfernt sind. Aber kommt man auf den Straßen Neuköllns mit Foucault weiter?

Welche Übersetzungsschwierigkeiten es tatsächlich zwischen Theorie und Praxis gibt, hat ein Eklat vom letzten Sommer gezeigt: Butler lehnte damals in Berlin den Zivilcourage-Preis des Christopher Street Day (CSD) mit der Begründung ab, dass einige der Organisatoren rassistische Äußerungen gemacht hätten. Sie blieb mit ihren Anschuldigungen bewusst vage, um keine rechtlichen Konsequenzen befürchten zu müssen. Viele im Publikum hatten trotzdem verstanden.


Butlers Anspielungen bezogen sich auf eine Debatte, die seit Jahren hitzig unter Berliner Schwulen geführt wird: Wie geht man mit der Hassgewalt jugendlicher Migranten, unter ihnen viele Muslime, gegenüber Homosexuellen um? Ein linkes Projekt kommt in Schwierigkeiten, wenn eine Minderheit auf die andere losgeht und damit einen Konflikt innerhalb des liberalen Diskurses vor Augen führt, den Politiker lieber nicht wahrhaben wollen. Im Prinzip verläuft die Debatte parallel zu der um Kopftuch und Ehrenmorde – an Stelle von Necla Kelek und Alice Schwarzer sind nun weiße Mittelstands-Schwule getreten.

In Queere Bündnisse (das eben als Heft 9 der Queer Lectures im Männerschwarm Verlag erschienen ist) beklagt Butler nun, dass Homobewegungen in der westlichen Welt auf dem Weg zu reinen Lobbyverbänden sind, denen es allein um rechtliche Privilegien wie Lebenspartnerschaft ginge. Linke Gesellschaftsideale werden verraten und Lesben und Schwule für nationalstaatliche Interessen anschlussfähig gemacht, auf Kosten nun neu ausgegrenzter Minderheiten wie Migranten. „Homonationalismus“ nennt die Queer-Theoretikerin Jasbir K. Puar diese Form der bürgerlichen Vereinnahmung.

Fehleinschätzung der Berliner Situation

Butler hat Recht, wenn sie an das demokratische Ideal erinnert, das die Emanzipation von Lesben und Schwulen tragen sollte. Und wie andere Institutionen in Deutschland müssen sich auch Homovereine fragen, warum Migranten bei ihnen unterrepräsentiert sind. Aber im konkreten Berliner Fall war es nicht angemessen, Schwule, die selber unter Gewalt leiden, des „Rassismus’“ zu beschuldigen. Dass man homophobe Gewalt benennen und sich dagegen zur Wehr setzen muss, ist doch klar. Die Frage ist nur: in welchem Namen.

Als weiße Mittelstandslesbe und Queer-Theoretikerin ist für Butler Selbstkritik sicher leichter als eine Gewaltanalyse bei Migranten, die immer kompliziert bleiben muss. Mit ihrer Fehleinschätzung der Situation in Berlin muss sie sich aber die Frage gefallen lassen, ob sie in ihrem Bündnis-Projekt das Queere im Sinne einer sexuellen Minderheitspolitik nicht aus dem Blick verliert – und damit nicht zuletzt gerade queeren Migranten keinen Gefallen tut. Es wäre allerdings auch ein Fehler, wenn Butlers zwiespältiger Auftritt auf der politischen Bühne dazu führte, dass ihre Texte nicht gelesen werden. Denn eine deutsche Debatte, die Sexualität als Kategorie des kritischen Diskurses bisher viel zu wenig wahrgenommen hat, kann von der Komplexität ihrer Argumentation noch immer profitieren.

Peter Rehberg, geboren 1966, lebt als Publizist und Literaturwissenschaftler in Berlin

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