Der Rheinboulevard in Köln-Deutz ist im Sommer ein beliebter Treffpunkt. Von den Ufertreppen hat man den besten Blick auf den Dom und das Panorama der Altstadt auf der anderen Seite des Flusses. Den Jugendlichen aus den kleinen Wohnungen in den benachbarten Vierteln dient der Rheinboulevard als Freiluft-Wohnzimmer. Eine bunte Mischung aus Touristen und Einheimischen genießt dort die Sonne bis in den Abend hinein, bei gutem Wetter wird es aber auch schnell ziemlich voll. Dem kommunalen Corona-Krisenstab ist das ständiger Anlass zur Sorge: Gleich an den ersten warmen Tagen vor Ostern rückte das Ordnungsamt an und riegelte das ganze Gelände kurzerhand ab.
Spätestens in ein paar Wochen, wenn die Tage länger werden und es bis 22 Uhr hell bleibt, könnte es
6;nnte es Ärger geben an solchen Orten in Deutschland. Die Konflikte mit der Polizei an der Hamburger Alster und auf dem Stuttgarter Schloßplatz lieferten dafür bereits einen Vorgeschmack. In einem innenstadtnahen Park von Brüssel attackierten Reiterstaffeln und Wasserwerfer Tausende Besucher eines im Internet angekündigten Musikfestivals, das sich im Nachhinein als Aprilscherz entpuppte.Ausgerechnet die 68er sind besonders gefügigDiese Vorfälle sind ein Fanal – und ein Warnsignal an die Politik, der nichts anderes einfällt als ein „harter Lockdown“ mit dem fadenscheinigen Zusatz „kurz“. Aerosol-Forscher haben gerade darauf hingewiesen, dass das Risiko von Infektionen im Freien viel niedriger ist als in geschlossener Räumen. Dass trotzdem, und schon wieder, ausschließlich private Kontakte reglementiert werden sollen, verstärkt den ohnehin grassierenden Coronablues. Deutlich zu Tage treten zudem die Mechanismen sozialer Segregation, die eine Pandemiebekämpfung mit repressiven Mitteln bewirkt. Denn Ausgangssperren oder blockierte öffentliche Grünflächen treffen vorrangig benachteiligte und einkommensschwache Gruppen. Diese leben oft auf beengtem Raum, und einen eigenen Garten haben sie erst recht nicht.Den saturierten Rentner, der abends höchstens noch mal mit dem Hund unterwegs ist, interessieren weder die Spaltung der Gesellschaft noch das Kontakt- und Feierbedürfnis der Jungen. Ausgerechnet die Generationenkohorte der „68er“, die einst aufmüpfig mit Sit-Ins und Blockaden gegen die Notstandsgesetze demonstrierte, ist derzeit besonders gefügig. Laut Umfragen befürworten Ältere über 70 Jahre in überdurchschnittlichem Maße ein autoritäres Durchregieren. Auch im politischem Raum überwiegt das Abnicken von Beschlüssen, von den oppositionellen Grünen oder Linken kommt erschreckend wenig Gegenrede. Nur vereinzelt, so in dem Aufruf des Freitag, regt sich Kritik von Prominenten. Seriöser Protest gegen die eklatante Einschränkung von Grundrechten, der nicht gleich mit „Aluhüten“ oder gar Rechtsradikalen in einen Topf geworfen werden kann, lässt sich derzeit nur schwer entfachen.Flashmobs und Spaßguerilla gegen AusgangssperrenBei Demonstrationen keine Masken zu tragen und auf ausreichenden Abstand zu verzichten, wie es Corona-Leugner und Verschwörungstheoretiker provokativ tun, ist völlig indiskutabel. Doch wie wäre es mit einer zeitgemäß aktualisierten Übernahme der Methoden von Mahatma Gandhi oder Martin Luther King? Fantasievoller Widerstand in der Tradition der Spaßguerilla: Zum Beispiel werden über das Netz parallele Flashmobs in der ganzen Stadt organisiert. Kleine Gruppen „treffen“ sich in der Nähe öffentlicher, unsinnigerweise abgesperrter Orte – in Distanz voneinander, mitgebrachte Sprühdosen markieren eine Entfernung von zwei Metern. Die Ziele des Protestes wären dennoch klar erkennbar, ausgereizt im Rahmen und am Rande der Legalität – wie in Mutlangen oder Gorleben, wie einst Bürgerrechtler/innen trotz Verbot und massiver Polizeipräsenz die Brücke von Selma in Alabama überquerten.Solche Aktionsformen brauchen Planung und Disziplin. Daran fehlt es vielen genervten Jugendlichen, die sehr genau spüren, dass sich die dekretierten Ausgangssperren vorrangig gegen sie richten. Wie in Brüssel hauen sie dann auch mal einfach drauf, zertrümmern die Scheiben von Einsatzwagen. Selbstverständlich ist das genauso wenig hilfreich wie Hygienedemos ohne Abstand und Maske. Es geht also darum, Bündnisse zwischen Milieus zu organisieren, die verschieden sind, aber Übereinstimmungen entdecken könnten. Das war schon in der Friedens- oder Anti-Atomkraftbewegung nicht anders. Vielleicht lassen sich so gar Teile der „Querdenker/innen“ überzeugen – die aufhören sollten, mit Rechtsextremen gemeinsame Sache zu machen.