Die Nationalversammlung wurde gerade zur Bühne eines obszönen Flirts: Die Partei des Präsidenten kürte zwei Rechtsextreme vom Rassemblement National (RN) zu Vizepräsidenten des Parlaments. Im ersten Wahlgang, mit absoluter Mehrheit. Die Ultrarechten machten im Gegenzug den Weg frei für eine macronistische Vorsitzende, die ihnen Handküsse zugeworfen hatte. Ein Deal ist ein Deal. Artig applaudierten die Macronisten darauf der Rede des Parlament-Doyens vom RN, der den Verlust der Kolonie Algerien 1962 bedauerte und eine Träne für die Putschisten-Generäle des Kolonialkriegs (500.000 Tote) verdrückte. Marine Le Pen nannte dies „einen großen Moment der Demokratie“. Dazu der Spin-Doctor eines Ministers: „Wenn Marine Le Pen in fünf Jahren die Macht übernimmt, wird man sich an diese Woche als erste Sequenz ihres Aufstiegs erinnern.“
Doch Emmanuel Macron hält sich an die alte Doktrin des Kapitals: „Alles, nur nicht links.“ Im Parlament wie der Bevölkerung hat er die Mehrheit für seine neoliberale Politik klar verloren. Fast wäre die Linkskoalition Nupes um Jean-Luc Mélenchon zur stärksten Kraft aufgestiegen. Deshalb braucht der Präsident für den weiteren neoliberalen Umbau Frankreichs eine autoritäre Wende. Den „cordon sanitaire“, mit denen man die Rechtsextremen in Demokratien üblicherweise auf Distanz hält, hat er bedenkenlos geschleift. Um Le Pen kommt Macron kaum herum. Seit Jahren hat er sie zur liebsten Gegnerin hochgejazzt. Nun ist sie an der Spitze von 89 Deputierten ins Parlament eingezogen, als drittstärkste Kraft. Allesamt Kreide in der Stimme. Le Pen ist auf dem Durchmarsch, sie hat die Präsidentenwahl 2027 fest im Auge. Niemand kann behaupten, ihr Programm nicht gelesen zu haben: nationale Präferenz, Grundrechte abschaffen („Menschenrechtstümelei“) per Referendum, freies Schussfeld für die Polizei. Und dem Kapital hat sie ihre Untertänigkeit bereits versichert.
Dieser Flirt nimmt bizarre Formen an: Als jetzt der Nupes-Mann Eric Coquerel zum Präsidenten der Finanzkommission gewählt wurde, stimmte Le Pen im Chor mit Arbeitgebern, Macronisten und weiteren Rechten ein empörtes Klagelied an: Hier sei, sagt sie, ein Damm der Demokratie „gegen die Extremisten“ gebrochen. So schnell kann es gehen.
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