Mit Messern und Macheten

Kongo Aus dem benachbarten Uganda fliehen Hunderttausende vor den Freischärlern der „Widerstandsarmee des Herrn“. Dem Osten Afrikas droht eine neue Hungersnot

Seit Jahren werden Ugandas Generalität und Präsident Museveni persönlich nicht müde, ihren bevorstehenden Triumph über die Rebellen der Lord‘s Resistance Army (Widerstandsarmee des Herrn/LRA) zu verkünden. Im September 2009 gibt es dafür weniger Anzeichen denn je. Im Gegenteil, die seit 1987 von Joseph Kony geführten Freischärler beherrschen den Norden und Osten Ugandas und entvölkern die Region mit beängstigender Geschwindigkeit. Die Bevölkerung vegetiert in von der Nationalarmee geschützten Wehrdörfern, sucht Schutz im benachbarten Kongo und flüchtet dabei in die Grenzprovinzen einer unregierbaren Republik im Herzen Afrikas, in der nichts sicherer ist als der nächste Bürgerkrieg.

So warnt denn auch die Amerikanerin Ann Veneman, als UNICEF-Generaldirektorin seit Wochen unablässig in Zentralafrika unterwegs, die Angriffe der LRA-Guerilla könnten auf einem von innerafrikanischen Konflikten bisher weitgehend unberührten Terrain des Kongo zu einer menschlichen Katastrophe führen. Nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks sollen aus dem Norden Ugandas inzwischen über 300.000 Menschen durch die Terrorstreifzüge der Rebellen vertrieben worden sein.

Verstümmeln und versklaven

Ann Veneman war Ende August in der Stadt Dungu, wo vor der LRA gerettete Kinder betreut werden. Obwohl das umliegende Land fruchtbar und üppig ist und trotz der aus marokkanischen Soldaten bestehenden UN-Schutztruppe (MONUC) haben die Bauern Angst, das zu tun, was in dieser Jahreszeit fällig ist – ihre Felder zu bestellen. „Bis die LRA-Meute zu marodieren begann, konnten die Menschen hier in relativem Frieden leben und ihre Kinder auf Schulen schicken“, erzählt Veneman. „Aber wenn die Verhältnisse so unsicher sind wie jetzt, haben sie Angst, vor die Tür zu gehen und auf den Feldern zu arbeiten. So nimmt die Unterernährung plötzlich zu.“

Schätzungen gehen davon aus, dass in den vergangenen zwei Jahren bis zu 1.200 Menschen an der Grenze zwischen Uganda und Kongo-Kinshasa durch plündernde Banden ermordet wurden. Bei einem als „Weihnachtsmassaker“ bekannt gewordenen Überfall griffen die Killer der LRA im Dezember 2008 eine katholische Kirche an und ermordeten die versammelten Gläubigen mit Messern und Macheten. „Die Bevölkerung von Dungu lebt in permanenter Angst vor Angriffen der LRA, die Uganda seit über 20 Jahren mit Terror überzieht. Diese Untergrundarmee ist berüchtigt dafür, Kinder zu entführen, sie dann zu töten, zu verstümmeln oder versklavte junge Mädchen als Konkubinen zu missbrauchen“, sagt Veneman.

Es ist verwunderlich, dass trotz des intakten Zentralstaates von Präsident Museveni die vor mehr als 30 Jahren im Norden des Landes ­gegründete Rebellen-Formation ihren Aktionsradius auf den Sudan, die Demokratische Republik Kongo und die Zentralafrikanische Republik ausweitet. So sehr man zuletzt in Kampala auch hoffen mochte, ihr Anführer Joseph Kony könnte sich auf Gespräche über eine Waffenruhe einlassen – die LRA blieb diesen Gefallen bislang schuldig.

Ohne Essen und Trinken

„Ich habe einen Jungen getroffen, der von der LRA entführt worden war. Sein Fuß war schwer entzündet, und er konnte die langen Tagesmärsche nicht mehr durchhalten. Die Rebellen verspotteten ihn, schlugen ihn brutal zusammen und ließen den Jungen dann einfach liegen. Er lag fünf Tage ohne Essen und Trinken im Busch, bevor er gefunden wurde“, berichtet Veneman. Wie viele andere wird er nun von einer Pflegefamilie in Dungu betreut.

Die UNICEF-Generaldirektorin besuchte auch andere Gebiete im Osten des Kongo, wo 2,1 Millionen Menschen, die innerhalb des Riesenlandes vor dem Terror verschiedener Rebellengruppen geflohen sind, in Lagern leben. Sie fuhr zur Panzi-Klinik, die auf die chirurgische und psychologische Behandlung von Vergewaltigungsopfern spezialisiert ist. „Viele Opfer bleiben allein mit vielen Kindern zurück, da ihre Ehemänner erschossen wurden oder einfach verschwunden sind, weil sie die Schande, dass ihre Frauen missbraucht wurden, nicht ertragen. Die Berichte junger Frauen über Massenvergewaltigungen sind schockierend.“

Von Indien und Nigeria abgesehen, gibt es außer dem Kongo kein Land, in dem so viele Kinder sterben, bevor sie das fünfte Lebensjahr erreicht haben. Nirgendwo sonst werden bis heute so viele Kinder von bewaffneten Freischärlern rekrutiert. UNICEF geht davon aus, dass 35.000 Mädchen und Jungen auf diese Weise in bewaffnete Konflikte hineingezogen und ihrer Kindheit beraubt wurden.

Seit vor zehn Jahren der regionale Krieg im Ostkongo begann, an dem nicht zuletzt aus Ruanda vertriebene Hutu-Milizen beteiligt sind, haben fünf Millionen Menschen ihr Leben verloren. Viele starben an Entkräftung oder an Krankheiten, die nicht behandelt werden konnten, weil den Menschen auf dem Treck niemand half.

Übersetzung: Holger Hutt

Hungerkrisen und Bürgerkriege in Afrika

Somalia 1992/93
Nach der faktischen Auflösung des somalischen Staates bricht mit dem Bürgerkrieg zugleich eine Hungerkatastrophe im Gebiet zwischen den Flüssen Jubba und Shabeelle sowie im Süden aus. Sie hat den Tod von 200.000 bis 300.000 Menschen zur Folge. Da nach Version der UNO bis zu vier Fünftel der internationalen Hilfe von Banditen geraubt werden, kommt es erstmals in der Geschichte der Weltorganisation mit UNISOM I und II zu Militärmissionen der Friedenserzwingung (peace making).

Süd-Sudan 1998/99
Als der Sezessionskrieg in Südsudan in seine entscheidende Phase tritt, leidet die Bevölkerung in den Südprovinzen nicht nur darunter, dass ständig Menschen als Sklaven in den Norden verschleppt werden auch eine Hungersnot grassiert. Sie wird von den Konfliktparteien der Zentralregierung in Khartum sowie der Sudanese People Liberation Army (SPLA) politisch instrumentalisiert. Die Zahl der Opfer von Bürgerkrieg und Unterernährung wird auf zwei Millionen Menschen geschätzt.

Darfur 2003
In der sudanischen Grenzprovinz bricht Anfang 2003 mit dem Aufstand von Teilen der schwarzafrikanischen Bevölkerung ein begrenzter Bürgerkrieg aus. Die Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit (JEM) stößt auf den Widerstand der arabischen Reitermilizen Dschandschawid. Durch die so ausgelösten Vertreibungen Zehntausender Bewohner verliert Darfur die Fähigkeit zur Selbstversorgung und viele Weideflächen. Die Region ist bis heute ohne internationale Hilfe nicht überlebensfähig.

Horn von Afrika 2006/07
Im Januar 2006 sind elf bis zwölf Millionen Menschen im Süden Äthiopiens, in Dschibuti, Somalia und Teilen Nordkenias von chronischer Unterernährung und akutem Hunger bedroht. Es handelt sich um die Folgen einer durch den Klimawandel anhaltenden Dürre. Ursache der Notlage ist jedoch auch der in Somalia immer wieder aufflammende Bürgerkrieg. Die Welternährungsorganisation (FAO) spricht von einer durch lokale, teilweise irreversible Umweltschäden bedingten Langzeitkrise.

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