Kabarett Man darf doch den Gerhard Polt nicht mit seinen Figuren verwechseln. Nun wird er 70 Jahre alt und lässt sich in Büchern des Kain&Aber-Verlags und Ausstellungen feiern
„Ein Mensch, der lebt, verdient keine Biografie.“ Eigentlich sagt dieser Satz, dass Lebensbeschreibungen über berühmte Leute immer etwas von einem Sarg haben. Trotzdem bewirbt der Verlag Kein Aber damit einen Gerhard Polt-Interviewband, der dort rechtzeitig zu Polts 70. Geburtstag am 7. Mai erschienen ist.
Auf mehr als 200 Seiten redet der bayerische Kabarettist darin im Gespräch mit Herlinde Koelbl über seine Sketche und Filme, über sein Verständnis von Sprache, die Bedeutung des Dialekts für seine Komik und über die Notwendigkeit der Langsamkeit – nicht zu verwechseln mit Langeweile – für eine gelingende künstlerische Arbeit.
Allein: Über Polts Lebensgeschichte und Privatleben erfährt der Leser, gemä
eser, gemäß der Maxime des Künstlers, so gut wie nichts. Dem biografischen Rapport verweigert er sich nicht nur deshalb, weil Menschen sich, solange sie leben, immer verändern können und sich über ihren Werdegang erst sprechen lässt, wenn der zu Ende ist. Für Polts künstlerisches Selbstverständnis noch wichtiger ist wohl das Bekenntnis zur eigenen Nichtidentität. Also dazu, dass niemand verbindlich über das eigene Wesen Auskunft geben kann: „Man ist sich selber ein Geheimnis“, antwortet er auf die Frage nach seinem Geheimnis, „ich will es auch nicht wissen, und das ist gut so.“Ein deutscher Karl Kraus?Solche Aussagen sind mehr als nur Koketterie mit der eigenen Wandelbarkeit. Und auch kein Scherz über das eigene Talent zur satirischen Stimmenimitation, das Polt bekannt gemacht hat. Sie treffen tatsächlich ins Zentrum seines Werks.Schon am Beginn der Karriere – der Kabarettist wurde 1942 in München geborenen – stand eine nur schwer zu übertreffende Meisterleistung in Sachen Selbstvervielfachung. In dem 1976 für den Hessischen Rundfunk produzierten Hörspiel Als wenn man ein Dachs wär’ in seinem Bau spielte Polt die Rollen von mehr als 30 verschiedenen Anwohnern einer eizigen Münchener Straße, die wegen Stadtsanierungsmaßnahmen ihr Wohngebiet verlassen müssen.Ein früher Beitrag zum Thema Gentrifizierung, wenn auch mit einer Stoßrichtung, die deren gegenwärtigen Kritikern kaum zusagen dürfte. Polt setzt die Vielfalt seiner Rollen hier nämlich nicht einfach dafür ein, den namenlosen Opfern von Kapital und Staat, wie es heute so gern genannt wird, endlich eine Stimme zu geben. Er entlarvt die vermeintlichen Opfer vielmehr zugleich als das, was viele von ihnen bei allem berechtigten Protest auch oft sind: bornierte Kleinbürger, denen die Ungerechtigkeit, die ihnen widerfährt, willkommener Anlass ist, dem eigenen Ressentiment freien Lauf zu lassen.Mit diesem Auftritt war das Verfahren, dem die meisten seiner späteren Sketche und Stücke folgen, bereits vorweggenommen. Wenn er mit mimetischer Anschmiegsamkeit in die unterschiedlichsten Rollen schlüpft, ist dies immer zugleich eine Identifikation mit dem Feind: Den läßt er so sprechen, wie dieser selbst es nie könnte, und zeigt ihn gerade dadurch in seinem tatsächlichen Wesen. Mit diesem Verfahren ähnelt er den bedeutendsten Vertretern der parodistischen deutschsprachigen Literatur. Johann Nestroy, Karl Kraus, Karl Valentin und Georg Kreisler, die kaum zufällig mehrheitlich Österreicher sind und mit denen Polt mehr verbindet als mit dem deutschen Kabarett.Sie alle gewannen ihre Originalität aus einer beständigen Auseinandersetzung mit dem Sprachmaterial, das die Zeit ihnen vorgab. Der Unerträglichkeit der Zustände begegneten sie nicht mit dem souveränen Blick des Spötters, sondern mit der Wandlungsfähigkeit des sprachkritischen Mimen, der die Verhältnisse zur Kenntlichkeit entstellt, indem er sich ihnen scheinbar gleichmacht. Allein in Bayern hat sich, wohl dank der regionalen Tradition des kritischen Volksstücks, – von Valentin über Herbert Achternbusch bis zu Polt – eine mit der österreichischen Literatur vergleichbare Neigung zum morbiden Witz und Sprachanarchismus herausgebildet, die bis heute fortbesteht.Ansonsten aber ist das Kunststück, die schauspielerische Verstellung in Entlarvung umschlagen zu lassen und aus der Anpassung eine List zu machen, in Deutschland noch nie auf großen Anklang gestoßen. Stattdessen neigt man hierzulande dazu, die Sprache als lästiges Hindernis auf dem Weg zur Mitteilung zu betrachten. Konsequent erschöpft sich das zeitgenössische Kabarett, – das seine adäquate Verkörperung in einer infantilen Institution wie dem „Quatsch Comedy Club“ gefunden hat –, in schulterklopfender gegenseitiger Bestätigung der eigenen Beschränktheit und in der Verhöhnung des Inferioren, das lauthals verlacht werden kann, weil keine Gefahr von ihm ausgehen soll.Polt dagegen hat seine Arbeit, wie er es im Interview vorführt und bekräftigt, stets als gefährliche Tätigkeit begriffen. Gefährlich, weil der parodistische Mime stets kurz davor steht, sich ganz in seine Rolle zu verwandeln. In Polts bekanntesten Sketchen, etwa über die Katalog-Ehefrau „Mai Ling“ oder „Herrn Tschabobo“, den prototypischen Fremden, der Untermieter bei einer fiesen Familie, wird das auf beunruhigende Weise deutlich. Dass diese satirischen Miniaturen einfach nur den Alltagsrassismus deutscher Spießbürger aufs Korn nehmen, wäre eine zu harmlose Deutung. Vielmehr sind sie mit ihrer emphatischen Bösartigkeit, welche die routinierte Fremdenverachtung nicht einfach anprangert, sondern in den von Polt verkörperten Figuren zu sich selbst kommen lässt, zugleich eine Provokation des im politischen Kabarett üblichen Moralismus, der immer klar zwischen Gut und Böse meint unterscheiden zu können und sich von vornherein auf der sicheren Seite wähnt.Gefährlich ist Polts parodistisches Verfahren aber auch, weil es eine Tendenz hat, die Polt selbst im Gespräch und in einigen Texten, wohl in Anlehnung an ein Wort von Karl Kraus, als „menschenfresserisch“ kennzeichnet. Das Hineinschlüpfen in Charaktere, die durch mimetische An-Ähnelung ihrer eigenen Inhumanität überführt werden, hat notwendig selbst ein Moment des Inhumanen an sich. Wohl das ist damit gemeint, wenn Polt immer wieder kritisch oder bewundernd Zynismus attestiert wird.Wer in der Lage sei, sich auf so überzeugende und zugleich entlarvende Art in Unmenschen zu verwandeln, müsse doch, so die Unterstellung, selbst irgendetwas von einem Unmenschen an sich haben. Auch wo das Ego des Parodisten sich so offensichtlich polemisch auf die Rolle bezieht, die dieser verkörpert, muss zwischen beiden eine Affinität bestehen, die solche Verwandlung erst ermöglicht: Der Verdacht kommt auf, der Unmensch könnte selbst das Alter Ego des Parodisten sein.Polt verleugnet diese Nähe gar nicht. Die schlitzohrige Formel „Das kommt immer drauf an“, mit der er im Gespräch gern eindeutige Stellungnahmen umgeht, ist nicht nur eine Weigerung, sich festlegen zu lassen. In ihr klingt auch die Drohung mit, dass mit diesem Gesprächspartner nie hundertprozentig gerechnet werden kann. Dass er stets zu Antworten fähig ist, die andere und ihn selbst überraschen oder erschrecken. Wer gefährliche Menschen darstellt, kann selbst nicht ganz ungefährlich, wer grausame Verhältnisse offenlegt, nicht einfach harmlos sein.KontrollzwangDoch wie schon bei Karl Kraus ist dieses Bekenntnis zur Affinität von Parodist und Unmensch bei Polt mit zunehmendem Alter auch mit einer gewissen Neigung zur Selbstmonumentalisierung und zur Egomanie verbunden. Mag er auch biografische Auskünfte und Selbstdeutungen vermeiden, trachtet er doch danach, das eigene Werk und seine Verbreitung so stark wie möglich zu kontrollieren.Insofern passen der Interviewband und die Werksammlungen, die bei Kein Aber erscheinen, ebenso ins Bild wie die Polt gewidmete Ausstellung, die noch bis Anfang Juni im Münchner Literaturhaus gezeigt wird und ihn schon zu Lebzeiten zum Monument deutscher Kabarettgeschichte erklärt. Auch wenn seine Filme, insbesondere die aus dem Jahr 2004 stammende Urzeitklamotte Germanikus, das Niveau seiner Sketche und Kurztexte fast nie erreicht haben. Gern nivelliert in der Rückschau diese enormen Qualitätsunterschiede zwischen Polts Kunst- und seinem Gelegenheitswerk. Dennoch: Wer die im Polt-Jahr anstehende Flut von Veröffentlichungen geduldig genug durchsucht, wird immer auch auf Einzigartiges stoßen.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.