Österreich rollt uns durch Europa
Ohne Österreich stünde es wohl schlecht um die europäische Verkehrswende. Immerhin betreibt die österreichische Bundesbahn ÖBB mit ihren Nightjet-Zügen quer durch Frankreich, Deutschland, Italien, Polen, Belgien und die Niederlande mittlerweile das größte Nachtzugnetz Europas. Für dieses Engagement, das die Deutsche Bahn gleichermaßen ökologisch und betriebswirtschaftlich alt aussehen ließ, muss man der ÖBB zutiefst dankbar sein. Aber wir wollen ja nicht nur mit der Bahn, sondern auch mit der Bahn und dem Rad reisen. Wie sieht es hier bei der ÖBB aus?
So lala. Die Nightjets nahmen ursprünglich keine Fahrräder mit, haben das aber nach Kritik geändert – ab Spät
#8211; ab Spätsommer 2023 auch nach Italien, sodass dann acht europäische Nationen für Radreisende erreichbar sind. Das schafft bislang kein anderes Bahnunternehmen in Europa. Aber: Platz ist gerade mal für drei Räder pro Zug.Innerhalb Österreichs werden Räder im Nahverkehr ohne Reservierung mitgenommen, in Fernverkehrszügen kostet die obligatorische Reservierung drei Euro. Für das Fahrrad selber gibt es keinen einheitlichen Tarif. Der Preis hängt davon ab, wann und auf welchem Vertriebsweg gebucht wird: Online ist billiger als am Schalter und langfristig sowieso billiger als spontan. Dabei haben die ÖBB das präziseste Regelwerk für die Definition eines Fahrrads aufgestellt, das ich kenne: maximal 185 Zentimeter Länge, 110 cm Höhe und 60 cm Breite, Reifengröße bis 28 Zoll, Reifenbreite bis 42 Millimeter. Gerade der letzte Punkt ist pikant: Mit dieser Reifenbreite sind Mountainbikes in der Alpenrepublik eigentlich vom Transport ausgeschlossen.Dass es auch flexibler funktionieren kann, durfte ich als Tandemfahrer bei der Pinzgauer Lokalbahn erleben. Auf eine Mailanfrage kam umgehend die persönliche Antwort, dass wir auch mit Überlänge willkommen sind. Am Tag unserer Reise war dann ein individueller Ausdruck an die Scheibe des Mehrzweckabteils geklebt: Reserviert für ein Tandem. Was für ein Service! Und die Pinzgauer Lokalbahn ist mit ihrer Lage am Tauernradweg keineswegs eine beschauliche Hinterwaldbahn ohne Nachfrage.Dänemarks Radglück – mit AutotrübungBeim Weltglücksreport gelten Däninnen beinahe traditionell als die glücklichsten Menschen der Welt. Nichts ist faul im Staate Dänemark. Auch Radreisende in der Bahn werden mit Glück beschenkt: Praktisch alle Züge nehmen Fahrräder mit – egal ob Staats- oder Privatbahn.Bis auf die S-Bahn Kopenhagen benötigt man dafür ein Fahrradticket, das im Nahverkehr etwa 3,50 Euro kostet und im Fernverkehr entfernungsabhängig berechnet wird. Zur An- und Abreise aus Deutschland empfiehlt sich der bezahlbare „Sparpreis Europa Dänemark“. In IC- und ICLyn-Zügen ist in der Saison zwar eine Fahrradreservierung erforderlich, aber sofern noch spontan Plätze verfügbar sind, handeln Zugbegleiterinnen meistens lieber pragmatisch und bestehen nicht auf der Vorlage einer Buchung. Und: Selbst kleine Städte sind an den Fernverkehr angebunden. Das erspart Radreisenden den Stress, der mit häufigem Umsteigen und Fahrradtragen verbunden ist.So weit ist alles bestens – was das Erbe des alten Dänemark angeht, das auf soziale Aspekte ausgerichtet war. Das neue Dänemark jedoch begeistert sich für neoliberale Großprojekte, und wir wissen: Groß und zentral ist meistens keine so gute Infrastruktur für den Radverkehr, der eher klein und dezentral braucht. Was man in Dänemark dann bei der Überquerung der Meerstraße Großer Belt zwischen den Städten Korsør und Nyborg erleben darf. Seit 1998 fahren hier keine Schiffe mehr. Statt der Überfahrt gibt es eine kombinierte Brücken-Tunnel-Lösung. Diese Bauwerke haben den Autoverkehr auf bis zu 40.000 Fahrzeuge täglich wachsen lassen – und sind zugleich zu einem winzigen Nadelöhr für den Radverkehr geworden. Räder müssen hier im Zug transportiert werden, und die Kapazität reicht oft nicht aus.Im vergangenen Jahr durfte ich das Spektakel erleben. Erst der vierte Zug nahm mich mit – wobei drei Tickets verfielen, inklusive Reservierung. Beim im Bau befindlichen 17,6 Kilometer langen und über sieben Milliarden Euro schweren Fehmarntunnel unter der Ostsee wird es kaum anders aussehen. Warum setzt Dänemark weiter auf autozentrierte Großprojekte? Dem Radfahrerinnen- und Klimaglück dienen sie jedenfalls nicht.Rad und Bahn zum Nulltarif: Das gibt’s!Seit 2020 ist jeglicher öffentlicher Verkehr in Luxemburg kostenlos, für Einheimische gleichermaßen wie für Touristinnen – das gibt es sonst nirgends auf der Welt! Auch das Rad dürfen wir einfach mitnehmen in die Bahn, ohne Ticket, quer durch das Land in der Größe des kleinen Saarlandes. Nun gut, einem geschenkten Gaul guckt man nicht ins Maul. Ein kostenloses Bahnangebot lässt sich schlecht kritisieren, was will man da noch an der Radmitnahme für unsere Reiseplanung herummäkeln?Allerdings geht es ja nicht nur um Radtourismus. Zur Verkehrswende gehört, dass Mobilität so vielfältig sein muss wie die Bedürfnisse der Menschen, die sich bewegen wollen. Dazu gehören auch alte Menschen, kranke oder behinderte Menschen – und Menschen mit Kindern. Für die sind Fahrräder eh nichts? Stimmt nicht. Auf der Spezialradmesse bewundere ich jedes Jahr die verschiedensten Fahrradtypen: Hier bekommen sehbehinderte Menschen für sie konzipierte Tandems, Menschen mit Querschnittslähmungen Handbikes und Eltern alle erdenklichen Arten von Kinderanhängern. Für diese Menschen und ihre Fahrräder sollte Platz sein.Ähnlich wie schon bei der ÖBB fällt bei der Luxemburger Staatsbahn CFL auf, dass Fahrräder einer bestimmten Norm entsprechen sollen. Die Stellflächen sind sehr knapp bemessen und nur für absolute Standardräder geeignet. Auf den ersten Blick mag mein Wunsch utopisch klingen. Schließlich ist Platz niemals unbegrenzt verfügbar. Auf der anderen Seite tobt in Deutschland derzeit eine Diskussion über den neuen Zuschnitt von Parkhäusern. Was würde wohl passieren, wenn die Parkhausbetreiber alle Autos ausschließen würden, die anders als ein VW Golf gebaut sind?Mein Wunsch an die luxemburgische CFL (Société Nationale des Chemins de Fer Luxembourgeois) richtet sich auch an viele andere Bahnen in Europa: Bitte konzipiert den Mehrzweckbereich größer und universeller, damit er den zahllosen Bedürfnissen in der Bevölkerung gerecht wird! Eine Verkehrswende wird nur dann von allen unterstützt, wenn sie allen zugute kommt. Das ist oft eine finanzielle Frage. Aber nicht nur.Schweden hat kein Herz für RäderWas wäre Schweden ohne Dänemark! Dieser Stoßseufzer bezieht sich hier nur auf den Bahnverkehr. Politisch ist er dennoch. Denn die schwedische Staatsbahn Statens Järnvägar schließt seit Jahrzehnten die Fahrradmitnahme im Zug komplett aus. Im X2000, dem schwedischen ICE-Gegenstück, ist sie auch ganz praktisch ausgeschlossen: Die Triebzüge bieten baulich keine Möglichkeit dazu und befinden sich außerdem in der Schlussphase ihrer Einsatzzeit. Aber selbst im brandneuen Nachtzug von Berlin nach Stockholm sieht es nicht besser aus, und auch die Privatbahn Snälltåget hat kein Herz für Radreisende.Und was hat Dänemark damit zu tun? Die Danske Statsbaner stellt das Personal und die Züge beim Öresundståg – jeder Verkehrsgesellschaft, die den grenzüberschreitenden Personennahverkehr in der dänisch-schwedischen Öresundregion bedient. Und das Streckennetz dieser fahrradfreundlichen Züge hat sich in den vergangenen Jahren immer weiter ausgedehnt, ähnlich wie das Nachtzugnetz der ÖBB in Europa. In S-Bahn-ähnlichem Takt und ohne Reservierungspflicht erreichen Radreisende von Dänemark aus Malmö. Innerschwedisch geht es weiter bis Växjö oder sogar bis Kalmar. Dank dieser Züge sind die beliebten schwedischen Inseln Öland und Gotland für Radreisende erreichbar.Doch weiter nördlich sieht es düster aus. Die einzige Möglichkeit, mit Fahrrad und Bahn bis nach Lappland zu kommen, bietet in der Sommersaison die private Inlandsbanan. Allerdings ist das ein touristischer Bummelzug, der für die 1.400 Kilometer lange Strecke zwei Tage benötigt und über Nacht stoppt. Nun gut – bei Radreisen ist der Weg das Ziel. Also meckern wir nicht über das Angebot, sondern freuen uns über das Erfahren der Langsamkeit. Und im äußersten Norden geht was: Die Züge von Norrtåg befördern in der Grenzregion zu Finnland immerhin jeweils drei (!) Fahrräder.Vielleicht kann sich ja noch was tun in Schweden. Schließlich bestehen beide Nachtzüge von Berlin nach Stockholm aus klassischen Zuggarnituren, bei denen baulich noch genau das möglich ist, was von Reisenden gern gefordert wird: „Die sollen doch einfach mal einen Waggon mehr anhängen!“