Mit Schirm, Charme und Kanone

Ausstellung Im Max-Ernst-Museum in Brühl wird Niki de Saint Phalle ausgestellt. Das Begleitprogramm aus Kunst, Event und Merchandising hätte ihr gefallen

Die Kunstvermittlung treibt seltsame Blüten. In Brühl, wo sich im Gebäudeensemble des Max-Ernst-Museums Klassizismus und Moderne architektonisch kühl aneinander schmiegen, frönt das Begleitprogramm zu einer Rückschau auf das Werk von Niki de Saint Phalle dem Eskapismus: Neben Kreativworkshops für Kinder („Lieber DADA als BLA-BLA“) und Frauen („Rund, weich, groß“) werden ein Kabarettabend („Aufstand im Doppelbett“) und eine Gesprächsrunde mit Wissenschaftlern zum Spannungsfeld des Frauenkörpers angeboten. Gesellig soll es beim Maiansingen oder Tanzabend zugehen, und – bevor wir endgültig den Zweck des Museumsbesuches aus den Augen verloren haben könnten – alles inklusive einer Führung durch die Ausstellung von Niki de Saint Phalle.

Im Rahmenprogramm nimmt man den Kuratoren-Titel Spiel mit mir, von einem Frühwerk der Künstlerin aus dem Jahre 1955 geborgt, offenkundig wörtlich. Die Mesalliance zwischen Kunst, Event und Merchandising, zu der auch Badelaken und Geschirrtücher im Museumsshop zählen, rückt in den Hintergrund, wenn man die stringent konzipierte Retrospektive im Untergeschoss betritt. Chronologisch lässt sich auf kleinem Raum der künstlerische Einfluss auf und die Entwicklung von Saint Phalle nachvollziehen, mit einem angenehm klaren Blickpunkt auf ihr Frühwerk.

Von den ersten Bildern der Autodidaktin aus den fünfziger Jahren, die in der Textur bereits Charakteristiken aufweisen wie den pastosen Farbauftrag, der von Saint Phalle später mit Artefakten aus der Alltagswelt angereichert und zunehmend vielschichtiger, raumgreifender ausgeführt wird, bis hin zu den plakativen Schießbildern ab 1961 und den spröden Vorläuferinnen der Nanas aus Draht, Polyester, Wollfäden und Farbe.

Wer die 1930 in Frankreich geborene, vor zehn Jahren in Kalifornien verstorbene Künstlerin mit ihren quietschbunten Weibsbildern und dem Skulpturengarten in der Toskana assoziiert, lernt Niki de Saint Phalle hier von einer dramatischen Seite kennen. Leben und Werk verschmelzen in radikal subjektiver Pose mit kunsthistorischen Querverweisen; eine ihrer berühmten Arbeiten, Saint Sébastien or Portrait of My Lover, 1961, ist ebenso in Brühl zu sehen wie ein apartes Schießbild, Tir (Old Master), 1961, auf dem man en détail erkennt, was den Alten Meister im wuchtigen Rahmen zum Bluten gebracht hat: mit Draht fixierte Farbbeutel, die von einer sämigen Gipsschicht überzogen sind. Im cremefarbenen Overall, in der Silhouette ähnelte Saint Phalle darin Emma Peel in Mit Schirm, Charme und Melone, schoss die Künstlerin bei Happenings auf diese Collagen. In Peter Schamonis Dokumentarfilm, Niki de Saint Phalle. Wer ist das Monster – du oder ich?, der in der Ausstellung gezeigt wird, formuliert die Performancekünstlerin ihre Haltung: „1961 schoss ich gegen Daddy, gegen alle Männer (...). Ich schoss, weil es ein Spaß war“.

Autobiografisches fließt intuitiv gefiltert ins Oeuvre ein: der Missbrauch durch den Vater, ein Aufenthalt in der Psychiatrie mit Anfang 20, der ihr den kreativen Impuls gegeben habe; die Beziehung zu Jean Tinguely. „Die Männer in meinem Leben, diese Bestien, waren meine Musen. Das Leiden und meine Rache an ihnen – davon zehrte viele Jahre meine Kunst. Ich danke ihnen“, sind in Schamonis Film, der 1995 fertiggestellt wurde, die letzten Worte, die Saint Phalle an ihr Publikum richtet. Sie soll geschäftstüchtig gewesen sein. Demnach wäre das Begleitprogramm in Brühl ganz in ihrem Sinne.

Spiel mit mirNiki de Saint Phalle Max-Ernst-Museum Brühl, bis 3. Juni 2012, empfehlenswerte Sonderführung: Alles Nana? 24. März, 16 Uhr, maxernstmuseum.lvr.de

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