Mit Textanalyse gegen Finanzkrisen

Netzgeschichten Das Programm Verbal Accounting soll helfen, Finanzkrisen zu vermeiden. Es scannt Geschäftsberichte und Risikostrategien – bei unsinnigen Formulierungen schlägt es Alarm

Vroniplag sucht nach falschen Doktoren, das BlaBlaMeter will Phrasendrescherei in Texten identifizieren. Längst sind Online-Platt­formen und Computerprogramme zu Kontrollinstanzen geworden. Verbal Accounting ist auch ein solches Programm – mit großem Anspruch: Es will Finanzkrisen verhindern. Dabei kämpft sich das Programm nicht durch endlose Zahlenreihen, sondern durch Texte. Es analysiert die Sprache der Manager in Geschäftsberichten, Bilanzen und Risikostrategien. Absatz für Absatz werden die Texte auf unsinnige Stellen und undurchsichtige Konstruktionen untersucht. Das Programm bedient sich literaturwissenschaftlicher Methoden, etwa der Strukturalen Textanalyse.

Stolpert es über eine Textstelle, findet die Software klare Worte: "dubios" heißt es da zum Beispiel. Das Wort steht neben ein paar rot markierten Zeilen aus dem Bericht der Deutschen Industriebank (IKB) vom Juli 2007. Verbal-Accounting-Erfinder Markus Grottke hat den Bericht durch sein Programm gejagt. Darin heißt es, die IKB befinde sich in einer "regelrechten Aufwärtsspirale". Es sei ihr gelungen, "die Kreditrisiken zu verringern und die Erträge zu steigern". Die Kombination aus sinkenden Risiken und steigenden Erlösen ist dem Programm aufgefallen. "Hinterfragen Sie diese Aussage", fordert das Programm den Leser auf. Die Erlöse der IKB stiegen nach Ver­öffentlichung des Berichts tatsächlich. Noch zehn Tage lang. Dann musste sie zugeben, dass sie in eine bedrohliche Schieflage geraten war. Schuld war der Crash auf dem US-Hypothekenmarkt.

Markus Grottke, 33, ist gelernter Bankkaufmann und hat Betriebswirtschaft in Passau studiert. Zeitgleich studierte er Neuere Deutsche Literatur, Philosophie und Politik. Grottke weiß, dass es auf dem Finanzmarkt nicht nur um Zahlen geht. Während seiner Ausbildung in der Bank musste er viele Geschäftsberichte lesen und einschätzen. Mit vorgefertigter Checkliste. Hake man diese Liste Punkt für Punkt ab, könne man Grundlegendes schnell übersehen, sagt er. Zum Beispiel, dass im Absatz zur Risikostrategie tatsächlich etwas zur Risikostrategie stehen sollte – nicht nur Worthülsen.

Nur wie kann Grottkes Programm helfen? Wenn es wieder kracht, sollen es Manager schwerer haben zu sagen: "Wir haben von nichts gewusst." Dafür muss sich Verbal Accounting erst mal durchsetzen. Grottke und sein Partner Dietrich Höschele wollen es an Banken, an Unternehmen und an Aufsichtsbehörden wie die BaFin verkaufen. Ihr Ziel: ein wirklich transparenter Finanzmarkt.

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