Mit weißer Weste

Schutz und Trost Tony Blair unter dem Talar eines Lordrichters

Brian Hutton, der Lordrichter, den die britische Regierung mit der Untersuchung des Selbstmordes des Waffenexperten David Kelly im vergangenen Sommer beauftragte, hat einen wirklich bemerkenswerten Abschlussbericht zustande gebracht. Sein Urteil lässt sich wie folgt zusammenfassen: Zwar habe sich Verteidigungsminister Hoon nicht immer wie ein wahrer Gentleman benommen, aber insgesamt treffe die Labour-Regierung nicht die geringste Schuld am Freitod Kellys.

Das ganze Gegenteil gelte für die BBC: Deren Andeutung, dass die Regierung ihr Dossier mit Aussagen zum Ausmaß der Bedrohung durch irakische Massenvernichtungswaffen "aufgedonnert" - zu englisch "sexed up" - habe, sei durch die "Quelle Kelly" allein nicht ausreichend gedeckt gewesen. Die Kontrollmechanismen innerhalb der BBC seien überdies "fehlerhaft". Huttons Schlussfolgerungen sind zwar inhaltlich nicht ganz falsch, aber derart einseitig, dass man zunächst glauben konnte, die Öffentlichkeit nehme diesen Bericht ohnehin nicht ernst - der Rücktritt zwei durchaus einflussreicher Führungskräfte der BBC vermag diese Erwartung nicht zu bestätigen.

In der Tat hat der Lordrichter mit einer erstaunlichen oder erstaunlich vorsätzlichen Naivität alle Fragen ausgeklammert, die nicht unmittelbar mit Kellys Selbstmord zusammenhängen. Etwa die Frage, wie das Dossier denn nun genau frisiert wurde, um für die Begründung des Waffengangs tauglich zu sein. Auch das brennende Interesse, wo denn eigentlich die vorgeblichen irakischen Arsenale geblieben sind, die Washington und London in den Krieg ziehen ließen, bleibt unbefriedigt. Das Eingeständnis des US-Inspekteurs David Kay, dass "fast alle falsch gelegen haben" in ihrem Urteil, taucht den Hutton-Report erst recht in ein diffuses Licht. Doch kommt es auf eine solche Wahrnehmung überhaupt noch an? In der öffentlichen Debatte der ganzen Affäre geht es derzeit nur noch um Moral: Hat Blair gelogen oder war die BBC Schuld? Und wenn der Premierminister nicht lügt, warum versteifen sich dann seine politischen Gegner seit langem darauf, ihn bei seinem fahrlässigen Umgang mit der Wahrheit zu stellen?

Wer so fragt, auf den haben die Ausführungen des Lordrichters ihre Wirkung nicht verfehlt. Was schließlich von dem 740 Seiten starken Dokument öffentlich wahrgenommen wird, ist vor allem eines: Tony Blair hat in moralischer Hinsicht wieder eine weiße Weste, weil er die Bürger nicht belogen, sondern sich aus reiner Überzeugung für einen Krieg entschieden hat. Nur ist es der Premierminister selbst, der diesem Frieden nicht traut und zu Wochenbeginn eine Kommission ankündigte, die sich mit der "Zuverlässigkeit von Geheimdienstinformationen" über Saddams Waffenpotenziale beschäftigen soll. Eine reine Präventivmaßnahme. Was die Kommission, die es bis jetzt noch gar nicht gibt, eines Tages mitzuteilen hat, dürfte jedenfalls auf ein weitaus geringeres Interesse stoßen als der Hutton-Report - auch wenn es die Wahrheit sein sollte.


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