Mit zwei Maß gemessen

Justiz Ein Strafprozess in München zeigt, wie die Regierung das Recht ihren Interessen unterwirft
Ausgabe 24/2016
Terroristische Organisation? Die Parteizentrale der TKP in Istanbul
Terroristische Organisation? Die Parteizentrale der TKP in Istanbul

Foto: Angerer/Hoch Zwei Stock/Imago

Mitten hinein in die sich verschärfende Diskussion über die Rechtsstaatlichkeit in der Türkei beginnt in Deutschland an diesem Freitag ein Prozess gegen zehn türkische Oppositionelle. Die neun Männer und eine Frau, die seit vielen Jahren in Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern leben, gehören der kommunistischen Partei TKP/ML an. Die TKP/ML ist in der Türkei verboten und dort als Terrororganisation eingestuft. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe wirft den Angeklagten daher die Zugehörigkeit zu einer ausländischen terroristischen Vereinigung vor.

Der Terrorismusprozess am Münchner Oberlandesgericht – der größte in Deutschland seit fast drei Jahrzehnten – ist vorerst bis Oktober terminiert. Das Verfahren gilt als heikel, stützt sich die Bundesanwaltschaft in ihrer Anklage doch im Wesentlichen auf Ermittlungsergebnisse der türkischen Behörden. Ob diese Erkenntnisse rechtsstaatswidrig zustande gekommen sind, etwa unter Anwendung von Folter oder durch die Manipulation von Zeugen, wird auch eine Rolle spielen. In der Vergangenheit hatte es wiederholt Beispiele dafür gegeben, dass die türkische Justiz durch Einflussnahme seitens der regierenden AKP von Präsident Erdoğan Ermittlungsverfahren und Prozesse gegen politische Gegner manipuliert hatte.

Die TKP war 1972 gegründet worden. Ihr bewaffneter Arm, die Arbeiter-und-Bauern-Armee, war an mehreren Anschlägen in der Türkei beteiligt. Eine Mitwirkung an diesen Attentaten aber wird den zehn Angeklagten, die der Führungsebene der TKP-Auslandsorganisation angehören sollen, nicht vorgeworfen. Die bereits seit 2006 andauernden Ermittlungen hatten keine Anhaltspunkte dafür ergeben.

Zu dem Prozess konnte es nur kommen, weil die Bundesregierung 2014 eine von der Bundesanwaltschaft beantragte „Verfolgungsermächtigung“ gegen die Angeklagten erteilt hatte. Eine solche Ermächtigung war kürzlich auchGrundlage für das Ermittlungsverfahren gegen den TV-Comedian Jan Böhmermann. Im Fall des Strafgesetzbuch-Paragrafen 129b ist eine Strafverfolgung gegen Mitglieder von Terrorgruppen aus Nicht-EU-Ländern nur zulässig, wenn das Justizministerium dem zustimmt. Juristen und Menschenrechtsorganisationen kritisieren diese Regelung, weil sie es dem Ermessen sowie den außenpolitischen Interessen der Bundesregierung anheimstellt, ob Mitglieder ausländischer Organisationen als Terroristen oder Freiheitskämpfer eingestuft werden. Im Fall von Mitgliedern der Freien Syrischen Armee etwa, gegen die kürzlich ein Prüfverfahren der Bundesanwaltschaft lief, wurde keine Ermächtigung erteilt, da Berlin die Organisation als Freiheitsbewegung gegen das Assad-Regime ansieht.

Laut Paragraf 129b soll das Justizministerium bei seiner Entscheidung in Betracht ziehen, „ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung (…) gerichtet sind“. Im Fall der Türkei aber könne man gegenwärtig von einem die Menschenwürde achtenden Staat nicht sprechen, sagt der Rechtsanwalt Peer Stolle, der in dem Prozess eine seit 2006 in Deutschland lebende türkische Ärztin vertritt. „Der türkische Staat in seiner jetzigen Verfassung kann für das deutsche Strafrecht kein Schutzobjekt sein.“ Stolle verweist dabei vor allem auf die rechtsstaatswidrige und auch von der EU kritisierte Verfolgung der Opposition. „Deshalb muss die Bundesregierung ihre Strafverfolgungsermächtigung gegen meine Mandantin und die anderen Angeklagten wieder zurückziehen.“

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