Mitten hinein in die sich verschärfende Diskussion über die Rechtsstaatlichkeit in der Türkei beginnt in Deutschland an diesem Freitag ein Prozess gegen zehn türkische Oppositionelle. Die neun Männer und eine Frau, die seit vielen Jahren in Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern leben, gehören der kommunistischen Partei TKP/ML an. Die TKP/ML ist in der Türkei verboten und dort als Terrororganisation eingestuft. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe wirft den Angeklagten daher die Zugehörigkeit zu einer ausländischen terroristischen Vereinigung vor.
Der Terrorismusprozess am Münchner Oberlandesgericht – der größte in Deutschland seit fast drei Jahrzehnten – ist vorerst bis Oktober terminiert. Das Verfahren gilt als heikel, stützt sich die Bundesanwaltschaft in ihrer Anklage doch im Wesentlichen auf Ermittlungsergebnisse der türkischen Behörden. Ob diese Erkenntnisse rechtsstaatswidrig zustande gekommen sind, etwa unter Anwendung von Folter oder durch die Manipulation von Zeugen, wird auch eine Rolle spielen. In der Vergangenheit hatte es wiederholt Beispiele dafür gegeben, dass die türkische Justiz durch Einflussnahme seitens der regierenden AKP von Präsident Erdoğan Ermittlungsverfahren und Prozesse gegen politische Gegner manipuliert hatte.
Die TKP war 1972 gegründet worden. Ihr bewaffneter Arm, die Arbeiter-und-Bauern-Armee, war an mehreren Anschlägen in der Türkei beteiligt. Eine Mitwirkung an diesen Attentaten aber wird den zehn Angeklagten, die der Führungsebene der TKP-Auslandsorganisation angehören sollen, nicht vorgeworfen. Die bereits seit 2006 andauernden Ermittlungen hatten keine Anhaltspunkte dafür ergeben.
Zu dem Prozess konnte es nur kommen, weil die Bundesregierung 2014 eine von der Bundesanwaltschaft beantragte „Verfolgungsermächtigung“ gegen die Angeklagten erteilt hatte. Eine solche Ermächtigung war kürzlich auchGrundlage für das Ermittlungsverfahren gegen den TV-Comedian Jan Böhmermann. Im Fall des Strafgesetzbuch-Paragrafen 129b ist eine Strafverfolgung gegen Mitglieder von Terrorgruppen aus Nicht-EU-Ländern nur zulässig, wenn das Justizministerium dem zustimmt. Juristen und Menschenrechtsorganisationen kritisieren diese Regelung, weil sie es dem Ermessen sowie den außenpolitischen Interessen der Bundesregierung anheimstellt, ob Mitglieder ausländischer Organisationen als Terroristen oder Freiheitskämpfer eingestuft werden. Im Fall von Mitgliedern der Freien Syrischen Armee etwa, gegen die kürzlich ein Prüfverfahren der Bundesanwaltschaft lief, wurde keine Ermächtigung erteilt, da Berlin die Organisation als Freiheitsbewegung gegen das Assad-Regime ansieht.
Laut Paragraf 129b soll das Justizministerium bei seiner Entscheidung in Betracht ziehen, „ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung (…) gerichtet sind“. Im Fall der Türkei aber könne man gegenwärtig von einem die Menschenwürde achtenden Staat nicht sprechen, sagt der Rechtsanwalt Peer Stolle, der in dem Prozess eine seit 2006 in Deutschland lebende türkische Ärztin vertritt. „Der türkische Staat in seiner jetzigen Verfassung kann für das deutsche Strafrecht kein Schutzobjekt sein.“ Stolle verweist dabei vor allem auf die rechtsstaatswidrige und auch von der EU kritisierte Verfolgung der Opposition. „Deshalb muss die Bundesregierung ihre Strafverfolgungsermächtigung gegen meine Mandantin und die anderen Angeklagten wieder zurückziehen.“
Kommentare 12
Wenn
a. die Gruppierung in der Türkei terroristische Anschläge verübt, sowie
b. dazu in Deutschland Geld gesammelt wird,
dann ist die Anklage wohl berechtigt. Man sollte den Verlauf des Prozesses in aller Ruhe und Neutralität verfolgen und nicht vorschnell "böse türkische Regierung", "unfaire deutsche Justiz" und "verfolgte Demokraten" rufen.
Wenn
a. die Gruppierung in der Türkei terroristische Anschläge verübt, sowie
b. dazu in Deutschland Geld gesammelt wird,
dann ist die Anklage wohl berechtigt. Man sollte den Verlauf des Prozesses in aller Ruhe und Neutralität verfolgen und nicht vorschnell "böse türkische Regierung", "unfaire deutsche Justiz" und "verfolgte Demokraten" rufen.
Brav. Doch geht es gar nicht um eine "unfaire deutsche Justiz," sondern um eine Bundesregierung, die sich bereitwillig zum verlängerten Arm Erdogans macht - und was sie ja nicht müsste aber trotzdem tut.
Was erwarten Sie?
Ich erwarte, dass die Justiz klärt, ob an der Anklage etwas dran ist.
Ich erwarte, dass die Justiz klärt, ob an der Anklage etwas dran ist.
Selbstverständlich macht das die Justiz, schon deshalb, weil ihr nichts anderes übrig bleibt. Sie hätte sich aber mit dem Fall gar nicht befassen müssen, wenn die Bundesregierung der Strafverfolgung vor deutschen Gerichten in Deutschland nicht zugestimmt hätte, was möglich und sinnvoll gewesen wäre. Denn die Angeklagten haben ja jedenfalls in Deutschland nichts verbrochen. Aber man wollte Herrn Erdogan gefällig sein und ihm gestatten, vor dem deutschen Gericht seine Suppe zu kochen. Nun muss sich das Gericht Gedanken darüber machen, ob die vorgelegten Ermittlungsergebnisse türkischer Behörden rechtsstaatswidrig zustande gekommen sind, etwa unter Anwendung von Folter oder durch die Manipulation von Zeugen - und was ja weder von der Hand zu weisen ist noch sehr appetitlich zu werden verspricht. Eine kluge Regierung sagt in solchen Fällen: Da halten wir uns raus. Eine unkluge Regierung sagt: Ja klar Herr Erdogan, selbstverständlich stehen wir dir mit unserer Justiz zur Verfügung; schließlich bist du unser guter Freund. Allerdings: Wenn die Leute freisgesprochen oder allenfalls milde bestraft werden, wird Erdogan gewiss der Letzte sein, der es damit bewenden lässt.
Ich verstehe Ihr Argument, es sei klüger, keine Verbrechen von Ausländern im Ausland zu verfolgen.
Allerdings könnten nach §§ 5 und 6 StGB inländische und/oder internationale Rechtgüter betroffen sein, z. B. wenn für terroristische Handlungen hier Geld gesammelt oder die Beschaffung von Waffen organisiert wird.
Wenn es für Taten nach § 6 Indizien gibt, käme grundsätzlich auch eine Auslieferung in Frage. Dass dies aus guten Gründen unterbleibt, sondern dass die Vorwürfe mit unserer Justiz geklärt werden, halte ich in dieser Situation für richtig.
Ihr Satz: "Ja klar Herr Erdogan, selbstverständlich stehen wir dir mit unserer Justiz zur Verfügung ..." trifft m. E. den Punkt nicht. Die deutsche Justiz wird dem türkischen Herrscher nicht "zur Verfügung" gestellt.
Ja aber warum wird dann von der Bundesregierung keine Erlaubnis zu Ermittlungen gegen die "Feie syrische Armee" gegeben? Das ist ja genau der Punkt, man kann genau die von ihnen angeführten Artikel, genauso auf eben die FSA anwenden. Also liegt die Vermutung des Autors und ihres Vorposters jawohl ziemlich nahe das da mit zweierlei Maß gemessen wird! Zumal ja auch eine deutliche Kohärenz zwischen den diesbezüglichen Entscheidungen und der jeweiligen aussenpolitischen Windrichtung, nicht zu leugnen ist.
Eine der Angeklagten sitzt schon über ein Jahr im Hochsicherheitstrakt von Stadelheim in Untersuchungshaft, davon vier Monate in Isolationshaft.
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/tuerkei-auf-erdogans-wunsch-im-deutschen-gefaengnis-a-1105210.html
Skandalös.
Skandalös.
Skandalös!
skandalös ist auch, dass die Schweiz und Frankreich die angeblichen Terroristen ausgeliefert haben. Griechenland hat niemand ausgeliefert.
Die Süddeutsche schreibt über den Prozess:
Damit steht schon wieder ein Mammutprozess an, der die Kräfte der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe bindet - die eigentlich mit den Ermittlungen gegen Rechtsradikale, den NSU, IS-Terroristen und Spione gut ausgelastet ist.
"Eine Auftragsarbeit für Erdogan"
Herr Förster, könnten Sie weiter über den Prozessverlauf berichten?
https://www.tkpml-prozess-129b.de/de/category/prozessberichte/