Mitläufer

Existenziell Sayed Kashuas neuer Roman "Da ward es Morgen"

Sie sind nicht Fisch und nicht Fleisch; ihre Identität ist ihnen selbst und ihren Nachbarn völlig ungewiss: Die arabischen Israelis unterscheiden sich von den in Gaza und im Westjordanland lebenden Palästinensern, denn sie haben einen israelischen Pass und sind offiziell mit der jüdischen Bevölkerung gleichgestellt. In den Augen vieler Juden sind sie allerdings so etwas wie ein Krebsgeschwür. Und viele Palästinenser halten sie für Kollaborateure.

Sayed Kashua, ein arabischer Israeli, hat nach Tanzende Araber (Freitag 42/2002) jetzt seinen zweiten Roman veröffentlicht, eine düstere Vision der Post-Intifada - und was an seinem Buch vor allem beunruhigt, ist die Tatsache, wie realitätsgesättigt und faktenreich diese Fiktion ist. Die Handlung: Ein Journalist, der für eine jüdische Zeitung arbeitet, kehrt resigniert aus Jerusalem in sein arabisches Heimatdorf zurück. Die feindseligen Parolen in der Stadt, die zur Vertreibung von ihm und seinesgleichen auffordern, lassen ihm sein Dorf wie einen Fluchtpunkt erscheinen. Aber auch dort sieht er überall zunehmende Gewalt. Und dann wird das Dorf überraschend hermetisch abgeriegelt von israelischem Militär. Es wird eine Nachrichtensperre verhängt. Strom und Wasser werden abgeschaltet. Im Dorf bricht ein Bürgerkrieg aller gegen alle aus.

Kashua spielt anhand der jetzt Eingeschlossenen ein Szenario durch, das Autoren immer wieder bearbeitet haben; man denke nur an Camus Roman Die Pest, oder Goldings Herr der Fliegen: Wie wirkt sich der Zusammenbruch der gewohnten Ordnung auf eine Gemeinschaft aus? Während innerhalb des Dorfes der Bürgerkrieg tobt, beschließen "außerhalb" Palästinenser und Israelis ein umfassendes Friedensabkommen. Es besagt unter anderem, dass die arabischen Israelis künftig als palästinensische Bürger gelten. Der Journalist aber traut den Palästinensern so wenig wie anderen arabischen Gesellschaften die Fähigkeit zur Demokratie zu. Er weiß: Arabisch sein ist das Schlimmste, was einem passieren kann.

Kashua, Jahrgang 1974, hat auch den zweiten Roman auf Hebräisch geschrieben; in einem Interview sagte er, in welchem arabischsprachigen Land könne er aufgrund der Zensur schon veröffentlichen. Er schreibe für Israelis. Diese eindeutige Zugehörigkeitserklärung wird in seinem Roman durch eine Vielfalt von Figuren mit unterschiedlichen Ansichten aufgelöst. Und so wird dieses Buch zu einem nachdenkenswerten Diskussionsangebot.

Der israelischen Seite sagt es: Hört auf, die arabischen Israelis noch mehr zu verwirren und zu spalten, als sie es ohnehin schon sind. Entgegen den goldenen Worten diverser Politiker, die "unsereinen" als Brücke zwischen Israelis und Arabern sehen, machen wir die Erfahrung, in der Falle zu sitzen. Für die eigene Seite leistet Kashuas Roman härteste Selbstkritik. Der Blick ist illusionslos, gnadenlos. Die arabischen Israelis sind hier nicht nur Opfer. Eine abstrakte Identifikation und Solidarität mit Palästinensern im Gaza-Streifen beispielsweise geht durchaus einher mit der konkreten Ausbeutung der illegalen palästinensischen Arbeiter im Dorf selbst. Und gerade in Krisensituationen zeigt sich eben, dass auch in der Gemeinschaft der arabischen Israelis eine Mehrzahl von Leuten jedes Gefühl für so etwas wie Würde verliert. Die Dorfbewohner werden Opportunisten, Mitläufer, Mittäter, wenn sie nur selbst etwas davon haben.

Kashuas Roman ist ein dichtes, beklemmendes Buch, das auch hiesige Leser mit sich zieht in ein fremdes Land. Die Frage allerdings, wie schnell man unter äußeren schwierigen Bedingungen verkommt, ist so fremd nicht; sie ist existentiell.

Sayed Kashua: Da ward es Morgen. Roman. Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler. Berlin, Berlin 2005, 304 S., 19,90 EUR


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