Mittelstand

Sportplatz Kolumne

Levander Johnson wurde nicht 99 Jahre alt, sondern nur 35. Er ist nicht nach einem erfüllten Leben gestorben, sondern nach einem harten Kampf, in dem dem Amerikaner schwere Kopfverletzungen zugefügt wurden. Johnson war Berufsboxer und als Ex-Weltmeister eines renommierten Verbandes auch niemand, dem man mangelnde Erfahrung vorwerfen konnte. Und weil es ein Kampf um die Weltmeisterschaft im Leichtgewicht war, kann man auch nicht gerade behaupten, Johnson sei untrainiert und in schlechter körperlicher Verfassung in den Ring getreten. Johnson starb dennoch am Donnerstag der vergangenen Woche.

Deutschland gedenkt in dieser Woche eines Boxers, der im Februar diesen Jahres im Alter von 99 Jahren starb und am 28. September 100 geworden wäre. Er war ein Boxer, der auch im hohen Alter nicht von Folgeschäden, die sein früherer Beruf verursacht haben könnte, heimgesucht wurde. Und ein Boxer, der, was auch nicht sehr typisch ist in der Branche, nach seiner Karriere eine erfolgreiche Laufbahn als mittelständischer Unternehmer eingeschlagen hatte.

Max Schmeling verkörperte das Gegenbild zu den sich tatsächlich um ihr Leben prügelnden, und dabei auch schon mal scheiternden Boxertypen. Dass Schmeling dieses Gegenbild darstellte, machte ihn so populär. Nicht die Menschen, die boxen müssen, um endlich eine Chance auf ein menschenwürdiges Leben zu erhaschen, werden nämlich hier zu Lande geliebt, sondern die Schmelings, die manchmal auch Henry Maske, Bubi Scholz oder Wladimir Klitschko heißen: Boxer, die nicht boxen müssen, sondern genauso gut Offizier, Werbefuzzi oder Universitätsprofessor ihren Lebensunterhalt bestreiten könnten.

Gerne wird so getan, als sei hiesiges, europäisches Boxen eine feine Faustfechterei, irgendwo zwischen Florettfechten und Hau-den-Lukas angesiedelt. Tödlich endende Ringunfälle seien hier nicht denkbar, denn schließlich seien die Kämpfer gesund (mit Zertifikat!), am Ring stünden Ärzte bereit (mit Doktortitel!) und außerdem wüssten die handelnden Akteure (Sportler, Trainer, Manager) bestimmt auch, wann Schluss mit lustig sei.

Die unterschiedliche Betrachtung des Boxens offenbart sich nicht nur darin, welche sehr unterschiedlichen Boxer zu Helden erkoren werden, sondern auch darin, wie der Tod von Sportlern wie Levander Johnson aufgenommen wird.

Als Schmeling friedlich entschlief, drückte Bundespräsident Horst Köhler die Wertschätzung der gesamten Republik so aus: "Max Schmeling war eine herausragende Persönlichkeit: Anstand und Fairness, Menschlichkeit und Bescheidenheit zeichneten ihn ebenso aus wie sein Engagement für das Gemeinwohl." Gerhard Schröder formulierte es ähnlich: "Schmeling zeichnete sich aus durch Fairness, Bescheidenheit und Untadeligkeit."

Solche Nachrufe kann der frühere Weltmeister im Leichtgewicht Levander Johnson nicht erwarten: Nicht von US-Präsident Bush und nicht von einer überregionalen Zeitung; vielleicht gerade mal von einem Pfarrer, der am Grab der Witwe mit den vier Kindern Trost spendet.

Als Joe Louis 1981 starb, der große Gegner Max Schmelings und - in der Jahrhundertbilanz - wichtigere Boxer, erbettelte seine Witwe, dass er doch am Washingtoner Ehrenfriedhof Arlington beigesetzt werde, und der damalige US-Präsident Ronald Reagan erfüllte ihr diese Bitte. Als Max Schmeling starb, war es keine Frage, dass ihm zu Ehren im Hamburger Michel ein Staatsakt abgehalten wurde.

Dabei, gewiss, war auch so manche Verehrung für den Boxer, der 1936 den großen Joe Louis durch k.o. besiegte. Dabei war auch, ebenso gewiss, ehrliche Verehrung für den Menschen Schmeling, der in der Tat ein Leben als "Jahrhundertdeutscher" hinter sich hatte. Aber der größte Teil dieser mehr als nur öffentlichen, nämlich sogar staatlichen Huldigung galt dem Symbol Schmeling. Und das stand nicht für den Mann, der die einzige Chance seines Lebens genutzt hatte und sonst in der Gosse gelandet wäre. Das Symbol Schmeling steht für die Fähigkeit, sich in jedem Beruf, in jeder Konstellation, die das Leben bereithalten kann, ja, letztlich auch in jedem politischen System erfolgreich zu sein.

"Ich habe nie zuvor jemanden getroffen, der so stolz und dankbar war, sich seinen sportlichen Traum erfüllt zu haben", hat der Manager von Levander Johnson, Lou DiBella, gesagt. Johnson hatte keine andere Chance als den sportlichen Traum, den er nur wenige Jahre leben durfte. Bei Schmeling, auf den dieser Satz auch zutrifft, war vieles sehr anders.


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