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Linksbündig Am Sonntag geht´s gar nicht um Tempelhof

Tempelhof ist das Osnabrück unter den Berliner Stadtteilen: Hier gibt es speckige bürgerliche Eckkneipen, graue Parks, unwirtliche Industriegebiete, verwaiste Spielplätze und Woolworth-Läden, unterdurchschnittlich viele Kinos und überdurchschnittlich viele Altersheime. In kaum einem anderen Bezirk des ehemaligen Westteils kleben während des Wahlkampfes so viele NPD-Plakate, die Hausmeister sind arische Saubermänner, und die Reihenhausbesitzer treten immer ein wenig stoffeliger auf als im Rest des Landes. Ihre Grundstücke schmiegen sich an den einzig schönen Ort: den Friedhof.

Jeder, der in einem solchen Umfeld nicht stirbt oder frühvergreist, sehnt sich schleunigst fort in die blaue Ferne. Wohl deshalb hat Tempelhof noch immer einen Flughafen, der allerdings viel zu groß ist und noch hässlicher aussieht als die übrigen Gebäude in diesem kulturell verkümmerten Grundschullehrer- und Beamtenwitwenbezirk. Er wurde in den zwanziger Jahren auf dem Tempelhofer Feld, einem ehemaligen Exerzierplatz, errichtet. 1926 startete hier die "Deutsche Luft Hansa AG" ihren ersten Flug nach Zürich. Die Nazis haben das Gelände erweitert, um aus Tempelhof ein Olympiastadion des Flugverkehrs zu machen. Heute zählt das Gebäude zu den drei größten der Welt.

Vor ihm erhebt sich das Luftbrückendenkmal, "Hungerharke" genannt, das an die Blockade West-Berlins erinnert, als hier 1948/49 die "Rosinenbomber" landeten, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Das Denkmal sieht aus, wie sich der Berliner-Abendschau-Seher ein gutes Leben vorstellt: grau, öde, plump, aber stabil. Den jahrelangen Streit um die Schließung des defizitären Flughafens soll an diesem Sonntag ein Volksbegehren beenden, das Befürworter und Gegner zu Aktivitäten ermutigt hat, die prototypisch dafür sind, was man sich hierzulande unter Basisdemokratie vorstellt.

Die Interessengemeinschaft City-Airport Tempelhof erscheint im Vergleich mit der Initiative "Tempelhof flughafenfrei", die von der Linken und von Umweltschutzverbänden unterstützt wird, als konservative Fraktion. Hier, so suggeriert die lokale Propaganda, sind die Bonzen organisiert, die sich für eine wirtschaftsfreundliche Hauptstadt einsetzen. Die Gegner gebärden sich demgegenüber als Fortschrittler im Kampf gegen "Superreiche" und für volksfreundliche Naherholung. Tatsächlich aber mobilisiert die ganze Kampagne die niedersten Instinkte und homogenisiert die Berliner zu zwei entgegengesetzten, einander aber völlig entsprechenden Fronten: hier der rechte Mob, der sich in architektonischer Erinnerung an die reichsdeutsche Vergangenheit ergehen will; dort der linke Mob, der in Anbiederung an den Proleten in uns allen mit dem Foto eines Bauarbeiters wirbt, der sich gegen den "VIP-Flughafen" wehrt. Die einen wollen Tempelhof als gemeinschaftsstiftenden Erinnerungsort erhalten, in dem sich das Beste am Nationalsozialismus mit dem Besten, was uns der Ami bescherte, symbolisch verschränkt. Die anderen wollen aus Tempelhof eine grüne Wiese machen, auf der man sich volksnahes Zusammengehörigkeitsgefühl im gemeinsamen Atmen unverdorbener Luft erwittert.

So demonstriert das Volksbegehren, was sich jüngst auf andere Weise an den Streikaktivitäten von Ver.di studieren ließ: Auch wer für etwas der Sache nach Richtiges kämpft, muss es zur ressentimentfähigen Lüge verkehren, um Chancen auf einen Sieg zu haben. Wer nicht mindestens die Volksgesundheit, die Angst vor Heuschrecken und den Hass gegen Reiche im Gepäck hat, hat von vornherein verloren. Wenn also am Sonntag die Flughafengegner gewinnen sollten, so nur, weil ihr klimakritischer Populismus inzwischen zeitgemäßer ist als das biertischhafte Pochen auf Volkes Stimme. Andererseits: Einer Stadt, deren pseudokosmopolitische Offenheit sich niemals anders zu artikulieren vermochte als in verbissen guter Laune, täte ein hässlicher Klotz am Rande des Zentrums vielleicht wohler als ein Freizeitpark.

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