Moharebeh: Iranisches Regime unterdrückt Proteste mit willkürlichen Koran-Auslegungen

Kolumne Super Safe Space Die Mullahs im Iran verhaften Tausende von Protestierenden. Das darf man ihnen nicht durchgehen lassen
Ausgabe 46/2022
Seit acht Wochen protestieren Zehntausende Menschen im Iran gegen das autoritäre Regime
Seit acht Wochen protestieren Zehntausende Menschen im Iran gegen das autoritäre Regime

Foto: SalamPix/ABACAPRESS.COM/picture alliance/dpa

Das iranische Regime nutzt derzeit Willkür, um Protestierende einzuschüchtern. Sie wollen mit der Gewalt ein Zeichen an alle Protestierenden setzen und Angst verbreiten, damit die Revolution das Regime nicht zum Stürzen bringt.

Wenn ich nach der Definition von Willkür suche, beschreibt der Duden diesen Begriff folgendermaßen: Willkür sei „die allgemein geltenden Gesetze anderer missachtendes, an den eigenen Interessen ausgerichtetes und die eigene Macht nutzendes Handeln“. Wer die Geschehnisse im Iran verfolgt, wird zustimmen, dass diese Definition perfekt zum Regime und den Mullahs passt.

Ihre neueste Strategie: Demonstrant:innen wegen „Moharebeh“, zu übersetzen mit „Krieg gegen Gott und seinen Propheten“, gemäß der islamischen Rechtsprechung zu verklagen. Dieses Delikt kann im Iran mit dem Tod bestraft werden. Eine ideale Gelegenheit also für das Regime, Protestierende aus dem Weg zu räumen. Um allerdings als Täter:in zu gelten, müssen laut dem Koran die „muharib“ volljährige, geistig gesunde Muslime sein, die Waffen, Stöcke oder Steine bei sich tragen.

Und hier zeigt sich die Willkür des Regimes ganz besonders: Seit Beginn der Proteste sind mindestens 14.000 Menschen verhaftet worden, und fast alle sollen hingerichtet werden. Nahezu alle Videos der Demonstrant:innen zeigen aber deutlich, dass die meisten von ihnen gar keine Waffen bei sich tragen. So zum Beispiel die Journalistin Donya Rad, die mit ihrer Freundin öffentlich ohne ihren Hidschab frühstückte und einen Tag nach der Veröffentlichung des Bildes verhaftet wurde. Schaut man sich im Gegensatz dazu das Verhalten des Regimes und der Sittenpolizei an, fällt vor allem eines auf: hauptsächlich erwachsene und körperlich fitte Männer, die mit Waffen auf die Demonstrierenden schießen, Tränengas einsetzen und minderjährige Mädchen vergewaltigen. Laut islamischem Gesetz sind also diese Männer die wahren Täter.

Was ihnen aber entgangen ist: Die Revolution hat sie bereits besiegt und die Welt schaut bei diesem feministischen Kampf zu. Deswegen werden viele der Protestierenden inhaftiert; es ist ihre letzte Hoffnung, um diesen Kampf noch zu gewinnen.

Wenn nun auch bald die europäische Politik noch stärker durchgreift und dadurch universelle Menschenrechte bewahrt, kann das willkürliche Töten vielleicht endlich ein Ende nehmen.

Hatice Acikgoez ist Lyrikerin und Autorin von ein oktopus hat drei herzen (erschienen 2022 bei Sukultur). Die 29-Jährige lebt in Hamburg

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