All jene, die nach dem 11. September 2001 keinen Augenblick zögerten, jeden wütend des Antiamerikanismus zu zeihen, der die willenlose Unterordnung der europäischen Politik unter die Interessen der USA kritisierte, sind erstaunlich sprachlos geworden, nachdem die Regierung der Vereinigten Staaten sich bündig geweigert hat, einen Internationalen Gerichtshof anzuerkennen. Die Nonchalance, mit der Journalismus und Politik in Deutschland über diesen Beschluss hinweg gehen, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Abhängigkeit von den USA, in die man sich mittlerweile ohne Not begeben hat, und zwar nicht nur in der praktischen Politik, sondern bereits im öffentlichen Denken.
Da ist also, etwa im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung, ständig die Re
g die Rede von der Notwendigkeit der Internationalisierung von Institutionen und Entscheidungen. Bis hin zu Erhard Eppler, der einmal ein Linker und Pazifist war, geistert die Vorstellung von der Übertragung des staatlichen Gewaltmonopols auf die internationale Staatengemeinschaft herum. Dass, wie die gegenwärtige Politik täglich beweist, die Exekutive allenfalls pro forma in den Händen etwa der UNO, de facto aber in jenen der USA läge, wird nur ausnahmsweise eingestanden. Als George W. Bush nach dem Anschlag auf das World Trade Center in seiner hemdsärmeligen Art an die Fahndungsplakate im Wilden Westen erinnerte, mit denen man Verbrecher "tot oder lebendig" einforderte, dachte er wohl weder daran, dass jene, die sie jagten, in der Regel selbst Kriminelle waren, noch daran, dass - wie wir aus zahllosen einschlägigen Filmen wissen - die "Polizei" eines Staates jenseits der Grenzen keine Verhaftung vornehmen durfte. Wer von Nevada nach Arizona oder von Texas nach New Mexico geflohen war, befand sich in Sicherheit. Das gerade erst und nur unvollständig eingeführte staatliche Gewaltmonopol - dessen mühsame Durchsetzung ist ja der Stoff, aus dem der Western in seinen wichtigsten Ausprägungen gemacht ist - musste sich zunächst auf die einzelnen Staaten beschränken, ehe sich die USA als staatliche Einheit gefestigt hatten. Wenn nun also die Weltpolizei, anders als die Sheriffs und Marshalls, über Staatsgrenzen hinweg ein Gewaltmonopol ausüben sollen, dann müssen alle davon betroffenen Staaten gemeinsam entscheiden, muss diese Weltpolizei einem internationalen Gremium verantwortlich sein. Davon aber kann zur Zeit keine Rede sein. Zwar entsteht zunehmend ein internationales Gewaltmonopol. Aber das ist das Gewaltmonopol der USA, des Pentagon und der die Beschlüsse des Pentagons beeinflussenden Wirtschaft. Dass die Genannten den Pazifisten den Weg frei machen, ihre Seminare abzuhalten und Friedensarbeit zu leisten, wie es Erhard Eppler von den Soldaten und der Polizei erhofft, ist nicht anzunehmen. Dieser Verdacht erhärtet sich zur Gewissheit durch die Stellungnahme der USA zum Internationalen Gerichtshof. Sie bedeutet ja, wenn nicht das Eingeständnis, dass die USA an Kriegsverbrechen beteiligt seien, zumindest dies: dass sich die USA das Recht auf Kriegsverbrechen vorbehalten, für die sie nicht zur Verantwortung gezogen werden können. Was wäre, wenn Serbien dieses Vorrecht beanspruchte? Wie ungeheuerlich diese ungeniert ausgesprochene Anmaßung ist, wird deutlich, wenn man sie auf den nationalen Rahmen zurückprojiziert. Man stelle sich vor, es gäbe in Deutschland eine Klasse, die die Gerichte nicht anerkennt und der vom Rest der Bevölkerung zugestanden wird, dass sie sich der Gerichtsbarkeit entzieht. Mit der Weigerung, einen Internationalen Gerichtshof anzuerkennen, haben die USA deutlich gemacht, was sie tatsächlich unter einer gleichberechtigten Staatengemeinschaft verstehen. Sie demonstrieren ein Herrenmenschentum der übelsten Sorte, wenn sie sich außerhalb einer Ordnung stellen, die für alle anderen gelten soll, mehr noch: die sie rhetorisch und, wie wir jetzt wissen, heuchlerisch forderten, solange eine Realisierung nicht in Sicht war. Die Logik von George W. Bush ist unverändert die Logik eines Landes, in dem über Jahrhunderte hinweg für Farbige ein anderes Recht galt als für Weiße und in dem es, wenn nicht auf dem Papier, so doch in der Praxis des "racial profiling", nach wie vor gilt. Solange sich die USA nicht den selben Regeln unterwerfen wollen wie die übrigen Staaten, solange sie in Wahrheit für sich die Führung, eine Immunität, eine "Lizenz zum Töten" beanspruchen, sollten ihnen die Politiker der Welt, die die Interessen ihrer Staaten wahrnehmen, jegliche Solidarität verweigern.