Monster

Linksbündig Wie man sich mit einem Wort Aufklärung vom Leib hält

An dem Mann scheint alles grau zu sein: Die etwas wirren Haare, der dünne Schnauzbart, die stechenden Augen. Sieht ein "Monster" so aus wie Josef F.? Bei dem laxen Umgang, den die Bild-Zeitung mit Haudrauf-Metaphern pflegt, war zu erwarten, dass dieses Label auch für F. herhalten müsse. Die Aussage des Bundespräsidenten indes, der von 2000 bis 2004 dem Internationalen Währungsfond vorstand, kam ob dessen wirtschaftsliberalem Hintergrund einigermaßen überraschend: Die Weltfinanzmärkte hätten sich "zu einem Monster entwickelt, das in die Schranken gewiesen werden muss", sagte Horst Köhler in einem Interview mit dem Stern.

Weder die psychologische Struktur von Josef F. noch Funktion und Versagen der globalen Wirtschaft sind damit annähernd erklärt. Aber die momentane Inflation des Begriffs ist ein Zeichen für die wachsende Unsicherheit westlicher Gesellschaften, mit der sich nicht nur Kasse und Auflage machen lassen, sondern die mittlerweile offenkundig das Denken hoher Repräsentanten unseres Systems heimsucht. Wer "Monster" sagt, der setzt zunächst und vor allem eine Grenze, mit der das Unheimliche und Unbekannte eingefangen, umzäunt und ausgestellt wird. Das Böse, das sind Kinderschänder, jugendliche Prügler in der U-Bahn und die Absahner in den Chefetagen, aber doch wohl nicht wir selbst. Diese Stigmatisierung als Ungeheuer ist die ästhetische Entsprechung einer Politik, die Kriminalität in den Genen und Ausbeutung alleine in Börse und Bankwesen suchen will. Im Lateinischen bedeutet monstrum ein "Wunderzeichen". Dem Monster sind seine Sichtbarkeit und die gewünschte aufklärerische Funktion damit immer schon eingeschrieben.

Die alten Griechen konnten sich ihre Fabelwesen, die das radikal Andere darstellten, noch relativ einfach vom Leib halten. Doch schon in der Offenbarung des Johannes wären die gotteslästerlichen Biester nichts ohne ihre menschliche Gefolgschaft, und der moderne Horrorfilm hat das Monster wie wohl kein zweites Phänomen in der Mitte unserer Seele und unserer Gesellschaft verortet. Die Dialektik von Zeigen und Verbergen, die das Kino an sich und das Genre im Besonderen prägt, hat spätestens nach Psycho eine Kehrtwendung zur Eindeutigkeit vollzogen. Das Verstecken diente Hitchcock noch als Vorspiel der Enthüllung. Wo lange Zeit nichts zu sehen war, ist das Staunen am Ende umso größer. Das Entsetzen über die mörderischen Umtriebe des so harmlos erscheinenden Motelbesitzers Norman Bates wird zwar gebannt im Bild seiner mumifizierten Mutter - doch ein gewisses Unbehagen bleibt, und die besten Filme sind wohl ohnehin die fiesen, die sich jegliche Versöhnung verbieten. Werke wie George Romeros Zombie etwa, die unsere Monster von Beginn an im grellen Tageslicht paradieren lassen und die bösartige Ahnung verbreiten, dass wir sie selbst erschaffen haben und morgen schon eines von ihnen sein könnten.

Köhler, Bild-Chef Diekmann Co. sind aber eben nicht auf Irritation aus, sondern auf eine reibungslose Integration von Beschwichtigung und Mahnung - jene Ahnung muss im Keim erstickt werden und dennoch als Drohung weiterhin über den Häuptern schweben. Übrig bleiben soll im ersten Moment aber nur ein wohliges Gruseln, während man durch die Gitterstäbe schaut - das verkauft Eintrittskarten und schafft Vertrauen in die Wärter. Die moderne Freakshow von Medien und Politik leistet sich den Affekt, um das Gehirn damit auszuschalten. Unfassbares kann fassbar gemacht und dennoch so weit außerhalb der Norm positioniert werden, dass es noch fremd und unmöglich scheint - all das mit nur einem Begriff, einem Bild. Du wirst zwar nie sein wie Josef F. oder Josef Ackermann, aber hüte dich davor, jemals so zu werden. Diese paradoxe, unheilvolle Melange von Erziehung und Lüge lässt sich mit kaum einem Wort so gut auf den Punkt bringen wie mit dem des "Monsters". Gäbe es den Ausdruck nicht schon so lange, die bürgerliche Gesellschaft müsste ihn erfinden.

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