A
Arbeiterlied Ich lernte das Lied als Kind in der Schule, in Ostberlin. Es klang düster, poetisch, hatte seltsame Kraft. „Wohin auch das Auge blicket, Moor und Heide nur ringsum. Vogelsang uns nicht erquicket, Eichen stehen kahl und krumm.“ Häftlinge aus dem KZ Börgermoor im Emsland besangen ihr Schicksal, lernte ich im Unterricht. Sie mussten jeden Tag bis zur Erschöpfung ➝ Torf stechen und Wege durch das Moor anlegen. Im August 1933 durften sie eine Revue, ein bisschen Zirkus aufführen. Für die letzte Nummer kamen sie in Häftlingskleidung, mit Spaten bewaffnet auf die Bühne: „Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor ...“ Das Lied ging dann um die Welt. Ernst Busch sang es bei den spanischen Brigaden, grüßte auch die „Genossen in deutschen Lagern“. Pete Seeger und Hannes Wader schufen eigene Versionen der antifaschistischen Hymne. Die Toten Hosen coverten sie 2012, sahen sie mehr als Aufruf, in schwierigen Zeiten nicht zu resignieren. Maxi Leinkauf
B
Biobauer Während Baerbock und Habeck in Brandenburg das Moor besuchten, hat der Moor dort längst seine Wahlheimat: Der Schweizer TV-Moderator Max Moor lebt seit 2003 in Hirschfelde, einige Kilometer nordöstlich von Berlin. Er ist bekannt für seine tiefe Stimme. Moor moderiert seit 14 Jahren die ARD-Kultursendung ttt – titel, thesen, temperamente. Auch wenn er längst nicht so viel CO₂ speichern kann wie ein echtes Moor, lebt der Schweizer den grünen Traum. Seine Frau Sonja Moor gab ihren Job auf und machte eine landwirtschaftliche Lehre. Seitdem betreiben die beiden einen Demeter-Bauernhof. Auf ihrem 70 Hektar großen Gelände züchteten sie zwischenzeitlich auch Wasserbüffel. Ökologisch korrekt und in Reichweite des urbanen Flairs: Mit Hof und Lebensstil würde auch Familie Moor als Wahlkampf-Kulisse der Grünen taugen. Ben Mendelson
D
Dichtung Es ist eine Landschaft, die sofort innere Bilder aufruft (➝ Worpswede). Annette von Droste-Hülshoffs Der Knabe im Moor ist ein immer wieder herangezogenes Beispiel für die Beschreibung von Grusel, Geheimnis und Gefahr und vom schönen Schauer, der sie begleitet. „O schaurig ist’s übers Moor zu gehn, / Wenn es wimmelt vom Heiderauche ...“
Bei Droste-Hülshoff (1797 – 1848) ist es ein märchenhafter, kurzer, dunkler Kinderschrecken, der in Licht und Geborgenheit endet. Bei Christian Morgenstern (1871 – 1914) sind schon erfahrene Ängste und Verluste verdichtet, die eine Moor-Fantasie über den Schauder des Todes aufrufen. „Auf dem Stumpfe sitzt der Tod: / Dumpfe Fiedel lockt und droht / mit verworrnen Themen“, heißt es in Am Moor. Das dichtete einer, der Furcht und Trauer schon kennt. Spielerisch werden „die alten Weiden so grau“ aus Goethes Erlkönig aufgerufen. Bei Georg Trakl (1887 – 1914) sind es nicht die Weiden, sondern verkrüppelte Birken, die im Wind seufzen. Es ist viel lyrische Musik in diesen Versen und viel, manchmal zu viel Wind, hin und wieder auch um die eigene Verskunst. Magda Geisler
E
Einsatz Die „Friedländer Große Wiese“, ein Niedermoorgebiet in Mecklenburg-Vorpommern, wurde Ende der 1950er Jahre von damaligen FDJ-Brigaden durch kilometerlange Grabensysteme entwässert. Die Initiative fand Platz im Roman Egon und das achte Weltwunder, der gleichnamige Film war Kult in der DDR. Die Wiesenlandschaft wird landwirtschaftlich genutzt, für die Rinderzucht. Dem ehemaligen Torfboden fehlt nach Entwässerung und den vergangenen sehr trockenen Jahren viel Wasser, durch die Zersetzung von Pflanzenmasse wird besonders viel Kohlendioxid frei (➝ Klimaschützer). In neuen Modellen wird nun nach Wegen gesucht, wie man Moorwiesen schonend bewirtschaften kann. Maxi Leinkauf
F
Feuchtgebiete Sowohl das Moor als auch der Sumpf (➝ Marais) gehören zu dieser Landschaftsart. Auch wenn sie oft als Synonyme behandelt werden, gibt es doch Unterschiede. Moor ist immer wassergesättigt, es trocknet nicht aus, und ➝ Torf entsteht. Sumpf dagegen kann trocknen und fruchtbaren Boden hervorbringen. Um fachliche Details ging es im Roman „Feutchgebiete“ von Charlotte Roche jedoch nicht. Er erschien vor einigen Jahren und stellte bestimmte Körperzonen und -öffnungen unter ausdrücklichen Schutz vor allzu viel Reinlichkeit. Das Recht auf Naturbelassenheit wurde metaphernreich verteidigt und bescherte hohe Auflagen. Magda Geisler
H
Hype Irgendwann war gefühlt jeder auf virtueller Moorhuhnjagd, und der Reklame-Gag wurde zum Hype. Als die schottische Whisky-Marke Johnnie Walker 1999 „Moorhuhn“als kostenloses Werbespiel anbot, machte es virales Marketing zum Renner. In ausgewählten Pubs wurde es präsentiert. Gute Schützen bekamen das Spiel geschenkt, das sie alsbald weiterverbreiteten – die Datei war klein genug, um per E-Mail verschickt zu werden. Der Kult begann. Kulturpessimisten beschworen horrende betriebswirtschaftliche Ausfälle, weil die Popularität vor Büros nicht haltmachte. Den Tierschutzbund ärgerte das gegenüber dem Artenschutz respektlose Spielprinzip des Shoot ’em up. Denn das besteht darin, in 90 Sekunden möglichst viele Moorschneehühner mit der Flinte aufs Korn zu nehmen. Unzählige Nachfolger eroberten den Markt, das Moorhuhn gibt’s als Flipper, Fußball-Simulation und Rennspiel auch für neueste Konsolen. Tobias Prüwer
K
Klimaschützer Torfmoore sind ein effizientes Hilfsmittel der Natur gegen Hochwasser. Wie ein Schwamm können sie Wasser aufnehmen, ihre Saugfähigkeit ist fünfmal stärker als beispielsweise die von Wiesen. Durch diese Speicherung verzögern Moorflächen die Wasserabgabe an Bäche und Flüsse – und helfen so, Fluten einzudämmen.
Nasse Moore können zudem Kohlenstoff dauerhaft speichern: Ständiger Wasserüberschuss schafft sauerstoffarme Bedingungen, was dafür sorgt, dass Mikroorganismen hier nicht gut leben können, abgestorbene Biomasse nicht vollständig zersetzen. Über Jahrtausende haben Moore deshalb große Mengen Kohlenstoff eingelagert: Sie nehmen zwar nur drei Prozent der weltweiten Landfläche ein, enthalten in ihrem Torf aber doppelt so viel Kohlenstoff wie die gesamte Biomasse aller Wälder der Erde – 500 Gigatonnen. Der Mensch legt haufenweise Moore trocken – und verursacht dadurch hohe Emissionen (➝ Einsatz). Nick Reimer
M
Marais In der Mitte des Pariser Bezirks, dessen Name „Sumpf“ oder „Moor“ bedeutet, liegt der Place des Vosges, eine feierliche Grünanlage, 140 x 140 m, auf drei Seiten von Häusern mit rotem Backstein umgeben, die alle dem königlichen Pavillon am Südende ähneln. In Nr. 6 hat Victor Hugo gewohnt. Der Platz war als Place Royale bis 1612 auf Anordnung Heinrichs IV. erbaut worden. Wie oft haben wir unter den Bäumen am Rand gefrühstückt, Camembert, Leberpastete und Tomatenscheiben im aufgeschnittenen Baguette, und danach an der Métro-Station Saint-Paul Café Crème und Café noir getrunken. Gott muss wirklich in Frankreich gelebt haben. Das frühere Sumpfgebiet war erst im 13. und 14. Jahrhundert trockengelegt worden. Michael Jäger
P
Packung In Physiotherapie und Natur-kosmetik schwört man längst auf das schwarze Gold und schreibt ihm heilende Wirkung zu. Schon Paracelsus hat es bei verschiedenen Erkrankungen empfohlen. Die Anwendung erfolgt als Vollbad oder Packung in oder mit Badetorf, der in Mooren abgebaut wird. Die dickbreiigen Bäder mit bis zu 46 Grad speichern Wärme und geben sie langsam an den Körper ab. Etwa 20 Minuten in der schlammigen Brühe lassen die Körpertemperatur ansteigen; Fieber wird simuliert, was den Stoffwechsel anregen soll. Durch die Wärme entspannt sich die Muskulatur. Ein Schwebeeffekt entlastet den gesamten Gelenkapparat des Körpers für die Dauer des Bades weitestgehend. Nicht zu Hause machen: Riesensauerei. Elke Allenstein
T
Torf Wer Whisky mit Torfnote nicht mag, macht nichts falsch. Viele Liebhaber des schottisch-irischen Tröpfchens schwören darauf. Weitläufige Torfvorkommen finden sich auf den Inseln, weshalb sich die Pflanzensedimente als Brennstoff anboten. Auf Torffeuern wurde auch die gemälzte Gerste für die Brennereien getrocknet – die erdig-rauchige Nuance entstand, die besonders für die Whiskys aus Nordschottland typisch ist. Bei den Insel-Whiskys von den Hebriden ist sie extrem ausgeprägt. Der Torf (➝ Packung) signalisiert also die Herkunft. Für viele öffnet er auch Assoziationen, sie verbinden die Spirituose mit rauem Wind, schroffer Küste und unberührter Natur, kurzum, mit wilder Freiheit. Tobias Prüwer
W
Worpswede Man kennt ihn als Maler der Worpsweder Künstlerkolonie, den 1865 in Soest geborenen Otto Modersohn. Sein Hauptwerk entstand im Teufelsmoor. Hier, zwischen Moor, Marsch und Geest, wirkten seit 1889 auch Paula Modersohn-Becker, Heinrich Vogeler, Bernhard Hoetger oder Rainer Maria Rilke. Was sie magisch anzog, war die Suche nach Einsamkeit, Stille und Innerlichkeit. Dass große Kunst nicht nur in Metropolen gedeiht, lehrt uns diese Künstlerkolonie. Und auch, dass ein Herbstmorgen am Moorkanal bildwürdig sein kann, wie eine der Arbeiten Modersohns heißt. Modersohn malt hier immer dieselben Motive: sturmgebeugte Birken am Wegrand, Moorkähne, Felder, reetgedeckte Häuser, die Abendstimmung über den Flüssen und Kanälen. Düstere, melancholische norddeutsche Landschaften, deren Kraft in der Wiederholung ebenjener Stimmungen liegt. Worpswede, das Dorf im Teufelsmoor, war einige Sommer lang Zentrum und Sehnsuchtsort der noch jungen Moderne. Marc Peschke
Z
Zeitkapsel Sauerstoffmangel und Huminsäuren im Moor verhindern Verwesung durch Mikroorganismen. Gerbsäure konserviert Leichen. In Mooren von den Niederlanden bis Nordjütland stößt man daher immer wieder auf Tote aus der vorrömischen Eisenzeit. Die inzwischen 700 Funde liefern wichtige Erkenntnisse über kulturelle Lebensgewohnheiten aus einer Epoche, aus der keine schriftlichen Quellen vorliegen. Die älteste Moorleiche, Moora, entdeckt 2000 im niedersächsischen Uchter Moor, starb um 650 vor Christus jung eines natürlichen Todes. Doch die meisten Moorleichen sind männlich. Der berühmte, über 2.000 Jahre alte, wohl dem Gott Thor geopferte Tollundmann aus einem dänischen Moor trägt bis heute die Schlinge um seinen Hals. Der irische Lyriker und Nobelpreisträger Seamus Heaney widmete ihm zwei Gedichte (➝ Dichtung). Helena Neumann
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