Moral fordert Opfer

Kommentar Sexueller Missbrauch in der Kirche

Es stinkt im Staate, man möchte meinen "bis zum Himmel". Als am Mittwoch letzter Woche das Bundesverfassungsgericht die Regelung der "Homo-Ehe" für rechtens erklärte, sprach die katholische Kirche in Person des Kardinal Lehmann von einer "dramatischen Werteverschiebung in der Gesellschaft", man wisse wirklich nicht, wie man den besonderen Schutz von Familie und Ehe nun noch wahren könne. Zwei Tage vorher war von Lehmanns Priestern in der Presse zu lesen, im Verdacht wegen - homosexuellen - Kindesmissbrauchs. Ein ungutes Zusammentreffen zweier Themen, doch sehen wir es so: wer kleine Kinder vögelt, setzt wenigstens das heilige Sakrament der Ehe nicht aufs Spiel.
Dass die Kirche das, was sie predigt, für sich selbst nicht unbedingt in Anspruch nimmt, dass sie Sünden erfindet, damit es Beichte gibt, das wissen wir. Doch worum geht es in der Verquickung von heimlichem Missbrauch und öffentlich diffamierter Homosexualität? Es geht, erstens, um Reden und um Schweigen. Wenn schon die Enthüllung heikel sexueller Dinge, von denen man lange Zeit wusste, so nah am öffentlichen Verdikt über die Homo-Ehe liegt, hätte Lehmann - aus Gründen des guten Geschmacks - seine bekannten Verlautbarungen über die heterosexuellen Werte der Gesellschaft ruhig einmal unter den Tisch fallen lassen können. Schweigen ist Gold.
Es geht zweitens um den Zusammenhang von sexuellem Missbrauch und Zölibat, der leicht zu unterstellen wäre. Wer kann schon wissen, ob die Kirche Päderasten formt, ob Päderasten sich die Kirche suchen oder ob - wahrscheinlich wohl - der Prozentsatz an Missbrauch hier genau so erschreckend hoch ist wie in den unter besonderem Schutz stehenden Familien. Der Zölibat, der alte Zopf, gibt den zu leichten Sündenbock, man sollte ihn, wie andere Vorlieben auch, einfach als eine Art der sexuellen Orientierung betrachten. Eine Privatsache wäre er dann, unantastbar so lange zumindest, wie er niemanden schädigt.
Drittens aber geht es um Moral. Der genialste aller Religionskritiker, Friedrich Nietzsche, nannte das Christentum einen "Sklavenaufstand der Moral". Er roch an den Wurzeln der selbstlos sich aufopfernden Nächstenliebe eine Missgunst, eine versteckte Rache aufs Starke, aufs Lebendige, ein "schöpferisch gewordenes Ressentiment". Friedrich Nietzsche hatte eine feine Nase. Wer so genau weiß, wo die "sittliche Verfehlung" liegt, mit so viel Verve gerne ins Private pfuscht, wer so viel Bußgewand über die Welt ausschüttet, verliert mitunter wohl den Blick dafür, wo trocken-faktisch die Rechtsordnung beginnt. Die Moral fordert eben ihren Tribut. Die dargestellten "Einzelfälle" von priesterlichem Kindesmissbrauch beunruhigten ihn, verlautbarte Kardinal Lehmann, besonders aber schmerze ihn das Leid der Opfer. Herrgott, in diesem "mea culpa" stinkt es.

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