Ende 2001 wurde in Slowjansk der Journalist Igor Alexandrow ermordet, im Februar 2002 in Berdjansk der Journalistin Tetjana Gorjatschewa Säure ins Gesicht geschüttet. Sergij Lawrentjuk hat über diese Anschläge mehrfach berichtet. In den vergangenen Wochen begleitete er mit Ex-Premier Viktor Juschtschenko den Spitzenkandidaten des aussichtsreichen Wahlblocks Unsere Ukraine bei seinen Wahlkampf-Auftritten.
FREITAG: Glauben Sie, dass wegen der bevorstehenden Abstimmung eine neue Welle der Gewalt über die Journalisten Ihres Landes hinweg geht?
SERGIJ LAWRENTJUK: Die Übergriffe auf Journalisten haben nichts mit den Wahlen zu tun. Seit sieben Jahren gibt es regelmäßig Angriffe, nur zwischen 1990 und 1994 herrschte so etwas wie Pressefreiheit. Doch in den ve
ressefreiheit. Doch in den vergangenen fünf Jahren wurden in der Ukraine 13 Journalisten getötet - von Berufsverboten, Verhaftungen, Körperverletzung ganz abgesehen. In den meisten Fälle blieben die Repressalien ungesühnt. Das sagt genug über die Freiheit des Wortes bei uns. Von unabhängigen Medien kann man kaum sprechen. Betrachten wir zum Beispiel die Fernsehsender. Die meisten Kanäle sind kommerziell und gehören den Oligarchen Medvetschuk und Surkis wie das Fernsehprogramm Inter, oder Kutschmas Schwiegersohn Pintschuk und Mitgliedern der russischen Hochfinanz wie der Kanal ICTV. Das Erste Programm des staatlichen Fernsehens wird faktisch als Eigentum des Präsidentenamtes betrachtet. Selbst das Parlament kann sich dort nicht ohne Erlaubnis Kutschmas artikulieren. Im Herbst 2001 wurde eine Übersicht über die Angriffe auf Journalisten seit 1994/95 erstellt. Innenminister Smirnow erklärt dazu auf einer Pressekonferenz: "Wenn man genau hinschaut, waren alle diese Journalisten alkoholsüchtig und daran sind sie gestorben."Wie sehen die Repressalien gegen Journalisten im Einzelnen aus? Der Druck hat verschiedene Formen, nicht nur physische, die als letztes Mittel bleiben - Mord ist gewissermaßen letztes Mittel der Zensur. Zunächst einmal werden wirtschaftliche Pressionen ausgeübt. Nehmen wir die Regionalzeitungen, die ein gutes Beispiel für fehlende Pressefreiheit sind. Immer wieder sehen sich Direktoren von Druckereien gezwungen, den Druck unabhängiger Zeitungen einzustellen, Publikation ist dann oft nur unter Geheimhaltung des Druckortes möglich. Jetzt sollen auch Veröffentlichungen im Internet kontrolliert werden. Es existieren bereits Pläne, den Internet-Zeitungen eine Erlaubnis abzuverlangen, was letztlich deren Einstellung in absehbarer Zeit bedeuten dürfte. Dann werden wir vom Zugang zu Informationen völlig abgeschnitten sein. Wie beurteilen Sie die Aussichten der Politikerin Julia Timoschenko beim Urnengang am 31. März? In ihr sehe ich vor allem den Menschen, ihre Arbeit als Vize-Premier, ihre Ansichten und Vorstellungen. Daher unterstütze ich sie. Ihre Konflikte mit dem Gesetz beruhten unter anderem darauf, dass in der Ukraine Geschäftsstrukturen bewusst so geschaffen wurden, dass man jeden, der darin involviert ist, irgendeines Fehlverhaltens bezichtigen könnte. Außerdem trug sie als Vizepremier dazu bei, Gesetzeslücken zu beseitigen. Viktor Juschtschenko war immer auf ihrer Seite, obwohl er sie letztlich auch nicht hatte schützen können. Er beging den Fehler zu glauben, dass die Regierung auch ohne Timoschenko weiter funktionieren könnte. Andere Schritte seinerseits hätten 1999 vorgezogene Präsidentschaftswahlen zur Folge gehabt, und alles wäre anders gekommen. Vom Persönlichkeitsbild her gesehen, empfahlen sich der um Ausgleich bemühte Juschtschenko und Timoschenko, die durch ihre sehr radikalen Aussagen besticht, als erfolgversprechendes Wahlkampfduo. Weshalb kam das nicht zustande? Ich behaupte, dass - wenn beide ins Parlament kommen - sie doch ein Team bilden. Juschtschenko ist offenbar der Ansicht, dass es bei uns mehr gemäßigte als radikale Wähler gibt. Letztere stimmen entweder für die Kommunistische Partei oder aber auf der anderen Seite für Timoschenko oder den Sozialisten Alexander Moros. Timoschenko sagt: "Für die radikale Opposition kandidiert mein Block, wer sich nicht mit der radikalen Opposition anfreunden kann, sich aber rechts sieht, soll Juschtschenko wählen, für die Linken gibt es Moros." Jeder hat für sich eine transparente Position gewählt, so dass die, die einen Machtwechsel wollen, ihre Stimme entsprechend abgeben können. Ein Machtwechsel ist keine Tragödie. Den gibt es in allen Ländern. Leider sind wir so erzogen, dass wir eine solche Zäsur als Katastrophe ansehen. Als Journalist muss ich Neutralität wahren, aber als Bürger dieses Staates unterstütze ich diese drei Blöcke - Juschtschenko, Timoschenko und die Sozialisten. Welche Bedeutung messen Sie den jetzigen Wahlen überhaupt bei? Ich bin kein Pessimist, aber von diesen Wahlen erwarte ich gar nichts. Denn ich sehe keine Möglichkeit, wie eine Mehrheit zustande kommen sollte, die etwas in der Ukraine verändern könnte. Wenn man davon ausgeht, wie viele unübersehbare Wahlrechtsverletzungen es schon gegeben hat und wie viel es noch geben wird, würde ich es sowieso für das Beste halten, wenn man die Wahlen von vornherein für ungültig erklären würde.Im Jahr 2000 wurden Sie zum Journalisten des Jahres gewählt. Fühlen Sie sich durch die Auszeichnung nicht eher dazu berufen, sich mehr für den Schutz Ihrer Kollegen in der Ukraine zu engagieren anstatt für Viktor Juschtschenko? Das Eine hat mit dem Anderen sehr wohl zu tun. Ich setze mich insgesamt für Demokratie und den Schutz von Journalisten ein. Außerdem unterstütze ich auch andere Parteiblöcke. Solange man nicht alles schreiben kann, was man will, solange muss man für die Rechte der Journalisten kämpfen. Allerdings denke ich, dass es wenig Sinn ergibt, über die Notwendigkeit von Redefreiheit zu sprechen, Vereinigungen zu gründen und über Angriffe auf Journalisten zu schreiben. Es wird nichts helfen, solange das System das gleiche bleibt. Man muss das ganze System ändern und nicht nur einzelne Journalisten beschützen.Das Gespräch führte Matthias Zillich.