Mord in der Oper

Politkrimi In Omar Saavedra Santis´ Roman "Magna Diva" geht es um die Macht der Religion

Eigentlich könnte alles auf eine geglückte Friedensmission hinauslaufen. In einem südamerikanischen Land, nehmen wir an, es sei Chile, wurde eine Militärdiktatur beendet. Die Soldaten sind in die Kasernen zurückgekehrt, zivile Politiker haben die Macht oder sagen wir besser: die öffentlichen Ämter übernommen, und der freie Markt ist die oberste Autorität. Damit auch die Welt sieht, dass das Land seine dunkle Vergangenheit hinter sich gelassen hat und in die Gemeinschaft der Demokratien zurückgekehrt ist, wurde das zerstörte Opernhaus der Hauptstadt wieder errichtet und soll nun neu eröffnet werden. Das personfizierte kulturelle Aushängeschild des Landes, die international gefeierte Operndiva Adelaida Arias, soll die Intendanz des neuen Hauses übernehmen.

Doch letzteres verursacht dem höchsten geistigen Würdenträger, dem sittenstrengen Erzbischof Monsignore Abarzúa, schlaflose Nächte, war es doch Adelaida Arias, damals jugendliche Sängerin mit erstem Engagement, die ihn, den damaligen Chorknaben, in einer Probenpause auf der Bühne eben dieses Opernhauses verführt hat. Diese Verlockung zur Fleischeslust kann der Monsignore der Magna Diva nicht verzeihen. Und so setzt er alles daran, zu verhindern, dass die gefeierte Sängerin auf der sündigen Bühne erneut triumphiert und zur Intendantin ernannt wird.

Da die politische Entscheidung für Adelaida Arias längst gefallen ist, bemüht Monsignore Abarzúa die Kräfte der Vergangenheit, die in der neuen Demokratie keineswegs verschwunden sind, um sein Ziel durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund entspinnt sich ein spannender Politkrimi, in dem die alten Repräsentanten der Diktatur, ehemalige Widerstandskämpfer, die inzwischen ein bewaffnetes "Dienstleistungsunternehmen" betreiben, und das Werk, gemeint ist die rechtskatholische Organisation "Opus Dei", in Erscheinung treten.

Magna Diva hat viele Ebenen. Zunächst ist es ein Roman über die Oper, oder mehr noch eine Oper als Roman. Er hat vier Akte, eine Ouvertüre und ein grausig-großes Finale, dazu die obligaten Rezitative und Arien. Jedem neuen Abschnitt ist eine Tempusangabe vorangestellt. Wie in einer "richtigen" Oper fehlen in der raffiniert konstruierten Handlung weder Verkleidungen noch Verwechslungen noch Entführungen - der ideale Plot für eine Oper eines Giuseppe Verdi.

Darüber hinaus ist Magna Diva ein Roman über den demokratischen Übergang in Chile, einem Übergang, der die Strukturen der Diktatur weitgehend unangetastet lässt und die Verantwortlichen für Folter und Mord nicht zur Verantwortung zieht. Vor einem solchen Hintergrund muss "nationale Versöhnung" zu einer brüchigen Farce werden.

Daneben ist Magna Diva auch die vielleicht spannendste literarische Standortbestimmung des lateinamerikanischen Katholizismus, die in den letzten Jahrzehnten geschrieben wurde. In dem Roman stehen zwei grundsätzliche theologische Optionen gegenüber: Religion als Herrschaftsinstrument, das darauf zielt, menschliche Verhaltensweisen im Sinne der Macht zu regulieren und zu kontrollieren, und Religion als Option für die Gedemütigten, die menschliche Schwächen und menschliches Leid bejaht und Opfern solidarisch zur Seite steht. Für erstere Option steht Monsignore Abarzúa, für die zweite in einer Schlüsselszene des Romans, der Jesuitenpater Ignacio Aguirre. Dass letzterer ein seniler Greis ist, für den sich längst niemand mehr interessiert, während der Erzbischof die moralische Autorität des neuen Chile - mit eigener Fernsehsendung - darstellt, zeigt, welche theologische Option gegenwärtig die dominierende ist.

Der 1944 in Valparaiso in Chile geborene Autor Omar Saavedra Santis lebt seit 1974 in Deutschland, zunächst in Rostock, seit Anfang der neunziger Jahre in Berlin. In der DDR wurden fünf seiner Romane veröffentlicht. Nach der Wende hatte es Saavedra Santis schwer, sich im gesamtdeutschen Literaturbetrieb zu etablieren. 2003 gewann er den Literaturwettbewerb des MDR. Magna Diva ist in einem Kleinstverlag erschienen. Ein solcher Publikationsort bedeutet für ein Buch in der Regel, dass die Möglichkeiten von Werbung und Öffentlichkeitsarbeit sehr begrenzt sind. Gerade diesem Buch aber wäre in diesen theologisch bewegten Zeiten ein größeres Publikum zu wünschen.

Omar Saavedra Santis: Magna Diva. Die Oper der Mörder. Übersetzung: Mona Strasynski, Rhino-Verlag, Weimar 2003, 374 S., 19,95 EUR


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