Moskauer Fährtensuche

IM GESPRÄCH Alexander Tkatschenko, Direktor des russischen PEN, über die Resolution des internationalen Schriftsteller-Treffens zum Tschetschenien-Krieg und ein Treffen mit Wladimir Putin

In Moskau tagte gerade der 67. Internationale PEN-Kongress, der zwei Dokumente zum Krieg im Kaukasus verabschiedete. Eines davon - formuliert vom russischen PEN - fordert baldige Verhandlungen mit dem tschetschenischen Präsidenten Maschadow. Ein von mehreren osteuropäischen PEN-Zentren eingebrachter "Brief an die Schriftstellerkollegen" befasst sich mit den bewaffneten Konflikten in den post-sozialistischen Staaten. Darin wird vor einem "aggressiven Nationalismus" gewarnt und - bezogen auf die Kriege vom Balkan bis zum Kaukasus - von "Pogromen mit schweren Waffen" gesprochen.

FREITAG: Zu Beginn des Kongresses meinten einige russische Schriftsteller, das Treffen sei zu politisiert, die Tschetschenien-Resolution zu scharf - teilen Sie diese Auffassung?

ALEXANDER TKATSCHENKO: Tschetschenien - das ist nicht so sehr eine politische als viel mehr eine humanitäre Frage. Es geht nicht darum, ob Tschetschenien ein unabhängiger Staat sein soll oder nicht. Es geht uns darum, dass der Krieg beendet und das Recht auf Leben respektiert wird, dass es keine Folter mehr gibt und keine Internierungslager. Nur gegen Ende der Resolution sprechen wir eine politische Sprache und rufen alle, die den Frieden in Tschetschenien wollen, zu Gesprächen auf. Besonders appellieren wir an die russische Macht, mit Maschadow zu sprechen. Er ist heute der legitim gewählte Präsident auf dem Territorium Tschetscheniens.

Welche Schritte sind dazu nötig?

Zunächst muss es einen Waffenstillstand geben. Dann sollte man verhandeln, während russische und internationale Menschenrechtsorganisationen diesen Prozess überwachen.

Wie reagierten die russischen Medien auf den PEN-Kongress?

Manche haben darüber ironisch, andere seriös berichtet. Ich kann nur sagen, gemessen an den sieben PEN-Kongressen, die ich erlebt habe, gab es noch nie eine solche Anteilnahme der Medien. Das hing wohl damit zusammen, dass der Kongress erstmals in Moskau stattfand und sich die russische Gesellschaft derzeit in einem Zustand der Ausbalancierung befindet - alle versuchen, auf die neue Macht im Kreml Einfluss zu nehmen.

Wie denkt man in Russland heute über den Tschetschenienkrieg, der ja immerhin schon neun Monate dauert?

Die Gesellschaft ist gespalten. Das kann man wohl mit Frankreich zu Zeiten des Algerienkriegs vergleichen, als Sartre meinte, der Krieg müsse beendet werden, und Camus für dessen Fortführung eintrat. Auch im russischen PEN bestehen unterschiedliche Meinungen. Das geschäftsführende Komitee des PEN - es tagte eine Woche vor dem Kongress - hat die dann eingebrachte Tschetschenien-Resolution mehrheitlich gebilligt. Wir haben allerdings in Russland sieben Schriftstellervereinigungen - insgesamt sind die Kriegsgegner unter den Autoren in der Minderheit.

Gab es vor dem Kongress Gespräche zwischen dem russischen PEN-Club und dem Kreml?

Anfang Dezember rief man mich an und teilte mir mit, Premier Putin wolle sich mit Schriftstellern des PEN-Zentrums treffen. Ich war erstaunt und fragte nach dem Anlass. Der Berater des Ministerpräsidenten meinte, Putin wolle mit Schriftstellern, die er schätze, über Russlands Zukunft sprechen. Wir erklärten daraufhin, das Treffen müsse in unseren Räumen und nicht - wie von Putin gewünscht - im Weißen Haus stattfinden. Und so kam es, am Treffen in unserem Büro nahmen etwa 40 Personen teil, nicht nur russische Schriftsteller, auch Vertreter des internationalen PEN: Terry Carlbom vom Internationalen Sekretariat und Eugene Schoulgyn, Vorsitzender des Komitees "Schriftsteller im Gefängnis", sowie der Kulturattaché der schwedischen Botschaft, Johann Ebert. Das Ganze dauerte dreieinhalb Stunden - und wir erklärten dabei, dass wir den Tschetschenienkrieg nicht wollten. Putin legte seine Position dar. Dann gab es eine Debatte um die Union zwischen Russland und Weißrussland, vor allem um Präsident Lukaschenko. Wir erklärten, dass wir nicht gegen die Vereinigung der Menschen, aber gegen die Vereinigung mit einem Faschisten seien. Wir äußerten auch unsere Angst angesichts der großen Zahl von KGB-Leuten im Umkreis von Putin. Diese Entwicklung komme einer Machtergreifung durch den Geheimdienst gleich. Der russische Schriftsteller Lew Timofejew erklärte sogar, solange der KGB in der Seele der Menschen nicht zerstört sei, könne man keine neue Gesellschaft aufbauen.

... und das hat sich Putin alles angehört?

Ja, durchaus. Wir hatten jedenfalls das Gefühl, er hört aufmerksam zu. Wir sprachen auch über Renten für Schriftsteller. Zur Zeit sieht es nämlich so aus, dass pensionierte Autoren hierzulande wie Obdachlose dastehen. Sie bekommen keine Pensionen, weil es nach offizieller Lesart den Beruf des Schriftstellers in Russland gar nicht gibt.

Was sagte Putin zu Tschetschenien?

Er erklärte, dieser Krieg unterscheide sich deutlich vom ersten Tschetschenienkrieg. Man habe Angst, dass Russland an der Wolga zerfällt. Praktisch gelte der Kriegszustand. Wir vom PEN hielten ihm entgegen, dass es offiziell gar keinen Kriegszustand gäbe und eine Zensur illegal sei. Putin antwortete, auf andere Weise gehe es nicht. Man wolle keinen Präzedenzfall, nachdem in jedem beliebigen Territorium Russlands der Ausnahmezustand eingeführt werden könne.

Nach Ihren Erfahrungen mit dem Thema Tschetschenien - wird Putin der Presse Schritt für Schritt die Luft abdrehen?

Er hat sich bereits mehrere Male für Pressefreiheit ausgesprochen, aber jüngste Vorfälle zeigen, dass er sich kaum daran hält. Dabei geht es nicht nur um "Media Most" (Eigentümer des privaten Fernsehkanals NTW - d. Red.), sondern auch um die Berichterstattung aus dem Nordkaukasus.

Erwarten Sie vom Kreml eine Reaktion auf den PEN-Kongress?

Alles ist möglich. Wir arbeiten offen, aber die Regierung kann das eine erklären und - im Geheimen - das andere tun. Man kann jetzt mit jeder beliebigen Provokation rechnen, nicht von Seiten der Präsidialverwaltung, aber von anderen Strukturen.

Das Gespräch führte Ulrich Heyden

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden