FREITAG: Haben Sie derzeit Kontakte zu Ihren Partnern im Irak? ULRICH GOTTSTEIN: Ich stehe in telefonischer Verbindung mit Kollegen, die gerade von dort zurückgekehrt sind. Ich habe aber auch mit irakischen Ärzten gesprochen, die ihre Familien in Bagdad haben. Aus alldem geht hervor, dass es eine große Angst vor den Bomben und Raketen gibt, vor allem aber vor einem zu erwartenden Häuserkampf in der Stadt. Außerdem besteht die Gefahr einer akuten Luftvergiftung durch die Gebäude- und Ölbrände.
Sie kennen den Zustand des irakischen Gesundheitswesens aus eigener Anschauung, man weiß dank vieler Augenzeugenberichte, wie die medizinische Versorgung durch die Jahre des Embargos gelitten hat. Ist es für die Hospitäler im Irak überhaupt möglich, sich binnen kurzem auf Kriegsverhältnisse umzustellen?
Das Gesundheitssystem ist durch die fast 13 Jahre des Embargos dermaßen geschwächt und ausgelaugt, dass man der Extremsituation Krieg nicht gewachsen sein kann. Eine angemessene medizinische Hilfe, die ja neben der Versorgung von Kriegsopfern auch für andere Patienten weiterhin gebraucht wird, ist derzeit auch deshalb in Frage gestellt, weil alle verfügbaren Betten für Verwundete zur Verfügung stehen müssen - besonders katastrophal scheint in dieser Hinsicht die Lage in Basra zu sein. Infolge des Embargos fehlen außerdem Röntgenfilme. Die sind aber unabdingbar bei Verwundungen von Lungen, Bauchraum und Skelett.
Gibt es in den Krankenhäusern überhaupt Schutzräume für die Patienten und das medizinische Personal, wenn bombardiert wird?
Nein, nichts dergleichen existiert.
Haben Sie aus Ihrer Kenntnis des irakischen Gesundheitswesens eine Ahnung davon, wie sich unter den jetzigen Umständen die Versorgung mit Wasser und Energie für die Krankenhäuser aufrechterhalten lässt?
Die Hospitäler haben zum Teil mit Diesel betriebene Generatoren, um Stromausfälle zu kompensieren. Aber die sind äußerst störanfällig und werden kaum lange hintereinander arbeiten können. Trinkwasservorräte sind vorhanden, aber die dürften nicht länger als einige Tage reichen. Man muss auch den großen Bedarf in Betracht ziehen, der durch eine ständig wachsende Zahl von Patienten entsteht. Ich glaube, daraus wird ersichtlich, was ein Zusammenbruch der Wasserversorgung bedeuten würde. Bei Temperaturen in Bagdad von bis zu 30, teilweise 40 Grad Celsius muss jeder Mensch mindestens drei bis vier Liter pro Tag trinken.
Welche Defizite, die es im irakischen Gesundheitswesen ohnehin gibt, könnten sich derzeit bei der Versorgung von Bombenopfern besonders nachteilig bemerkbar machen?
Bombenopfer brauchen eine Versorgung von Wunden und Verbrennungen, also sind teilweise große Operationen nötig. Dazu wiederum braucht man Antibiotika, Narkosen, Verbandsmaterial in großen Mengen, Blut- und Plasma-Transfusionen - das ist nicht in dem Maße vorhanden, wie es gebraucht wird. Außerdem sind funktionstüchtige Röntgengeräte knapp, da sie vom UN-Sicherheitsrat wegen des Verdachts auf »dual use« nur in einem sehr geringen Umfang genehmigt wurden. Ich bitte Sie gleichfalls zu bedenken, dass mit Beginn des Krieges sämtlicher Transfer aus dem »Oil for Food«-Programm entfallen ist - also auch sämtlicher Hospitalbedarf. Die Iraker leben nur noch von der Substanz und das bei Luftangriffen, die offenbar von Tag zu Tag heftiger werden. Nur das Internationale Rote Kreuz, das in Bagdad geblieben ist, kann augenblicklich noch helfend eingreifen.
Da die Kampfhandlungen von Bodentruppen, wie man hört, größtenteils noch außerhalb der Städte stattfinden - welche Möglichkeiten gibt es für ärztliche Hilfe im ländlichen Raum, falls es dort zu zivilen Opfern kommt?
Neben den über 150 Krankenhäusern Iraks gibt es etwa 300 kleine Ambulatorien, in denen stundenweise Ärzte für Untersuchungen, Impfungen und kleine Behandlungen zur Verfügung stehen. Man kann dort aber nicht operieren, sondern muss die Patienten in Krankenhäuser verlegen. Dazu sind Ambulanzen, vor allem befahrbare Straßen und Brücken notwendig. Man weiß nicht, wie viel der Krieg davon übrig lässt.
Was können Sie bei all dem, was wir jetzt zur Beschreibung der Kriegssituation im Irak zusammengetragen haben, als IPPNW an konkreter Hilfe leisten?
Wir können nur Kontakte halten und Hilfen vorbereiten. Dazu sind wir allerdings auf Spenden angewiesen, um wieder wie zwischen 1991 und 1996 Hilfstransporte zu den Krankenhäusern bringen zu können. Wir werden dazu mit den österreichischen, britischen und kanadischen IPPNW kooperieren.
Das Gespräch führte Lutz Herden
Dr. Ulrich Gottstein ist Professor für Innere Medizin in Frankfurt a. M. und Mitbegründer der Deutschen Sektion der IPPNW (Internationale Ärzte zur Verhütung von Atomkrieg/Ärzte in sozialer Verantwortung)
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