„Bomben auf Berlin“, „Munition für den Wahlkampf“ - die Überschriften der Leitartikel in den Samstagausgaben der Zeitungen befassen sich zum Teil weniger mit dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan selbst, als mit den unmittelbaren Auswirkungen auf die politische Diskussion drei Wochen vor den Bundestagswahlen. Dabei ist ein Tag nach dem verheerenden Luftschlag zumindest aus den Kanzler-Parteien SPD und Union vor allem eines zu hören: Schweigen. Umso wortgewaltiger geht es in den Tageszeitungen zu.
Warnung an die SPD
Der Frankfurter Allgemeinen ist das sehr recht: Mit nahe liegenden Fragen, etwa was an zwei Tanklastzügen eigentlich so wichtig ist, dass man sie mit Bomben beschießt und Dutzende, womöglich über hundert Tote in Kauf nimmt, befasst sich das Blatt nicht. Dafür umso mehr mit der Rolle Oskar Lafontaines. Der hatte nach dem Angriff abermals einen Abzug der Bundeswehr gefordert - was die Frankfurter Allgemeine allenfalls als Versuch der Linken begreifen kann, „Stimmung auf ihre Mühlen“ zu lenken. Vor allem aber geht es dem Blatt darum, die SPD zu warnen. Die sich zuspitzende Lage in Afghanistan könnte deren bisher kriegsbefürwortende Führung „ins Wanken bringen. Wenn es ums Siegen geht, scheuen manche Sozialdemokraten selbst davor nicht zurück, von Lafontaine zu lernen.“
Aufruf an die Befürworter
Die Süddeutsche kommentiert die Angelegenheit (leider nicht online) etwas zurückhaltender und fordert, die Umstände des Angriffs aufzuklären. Das, schreibt das Blatt, werde allerdings dauern. An der Zehn-Prozent-Linken kommt aber auch die Süddeutsche nicht vorbei. Lafontaine wird sein „Timing“ zugute gehalten - wobei unberücksichtigt bleibt, dass es ja keineswegs das erste Mal ist, dass die Linke sich für einen Abzug ausspricht und dies auch nicht nur im Falle besonders opferreicher Angriffe geschehen ist. Ohne Schelte geht es allerdings nicht: Die anderen Parteien hätten es „weit schwerer im Umgang mit dem Thema als die Linke. Sie können sich um eine genaue Analyse des folgenschweren Luftangriffs nicht drücken“. Tut Lafontaine dies? Die Süddeutsche sieht das offenbar so - und ruft „die Befürworter des Einsatzes“ auf, „ihre Argumente vorzutragen. Auch und gerade im Wahlkampf“.
Mehr Soldaten, weniger Bomben
In der Welt kommt man immerhin ohne Verweis auf die Linkspartei aus - und fordert nach dem Tanklaster-Vorfall „mehr Soldaten“. Die Bundeswehr verfüge in ihren Einsatzgebieten „nicht annähernd über genügend Soldaten“ um die Zivilbevölkerung zu schützen. Mal abgesehen von der Frage, ob diese das überhaupt wünscht, ob die sozialen und kulturellen Konflikte am Hindukusch mit militärischen Mitteln gelöst werden können und ob das Argument von der zivilen Wiederaufbauarbeit noch irgendjemand glaubt - aus der Perspektive der Befürworter des Einsatzes hat das immerhin eine Logik: „Wer aber nicht über ausreichend Bodentruppen verfügt, muss verstärkt auf Absicherung aus der Luft setzen. Deshalb bitten die Deutschen ihre Verbündeten immer häufiger um Luftunterstützung. Das führt jedoch unweigerlich auch zu mehr zivilen Opfern. Wer also Ziviltote vermeiden möchte, müsste eigentlich mehr Bodentruppen schicken.“
Suche nach dem Ausgang
Die Frankfurter Rundschau sieht die Bundesrepublik „in der Falle der Kriegslogik“. Das Bombardement von Kundus „hätte das Zeug zum Fanal gegen die schreckliche Logik eines Krieges, der noch nicht mal offiziell diesen Namen trägt. Wer der Wahrheitsfindung wirklich dienen wollte, müsste sich jetzt verpflichtet fühlen, wenn nicht aus Afghanistan, so doch aus der Logik dieses Krieges auszusteigen.“ Allerdings sieht das Blatt in der öffentlichen Diskussion über den Afghanistaneinsatz „nur interessengeleitete Realitätsverweigerung“. Das gelte „vor allem für die Befürworter, angeführt von einem Verteidigungsminister, dem man nicht viel mehr glaubt als sein Talent, die Dinge simpler zu machen als sie sind.“ Auf der anderen Seite aber gehe „es nicht viel differenzierter zu: Einfach Raus! zu schreien, wird selbst dem größten Zweifler an diesem Krieg nicht gerecht.“ Nun aber werde „es zur nicht mehr verzeihlichen Unterlassung, sich dem fundamentalen Infragestellen zu verweigern. Spätestens jetzt hat keine Rechtfertigung, wer nicht belegen kann, dass er jede Woche, jeden Tag nach dem Ausgang aus diesem Krieg sucht.“
Leichenzählen für die Erfolgsbilanz.
In der taz kommentiert Eric Chauvistré die Verlogenheit der deutschen Wehrpolitiker. Dies hätten bei aufkommenden Zweifeln an Sinn und Form des Bundeswehreinsatzes „gerne hochnäsig über das Vorgehen der US-Militärs“ gesprochen - und sich selbst als Beispiel dafür gelobt, „wie die Nato ohne überzogene Gewalt erfolgreich sein könnte“. Dies, heißt es in der taz, sei immer schon verlogen gewesen. Mit dem nun „leichtfertig“ angeforderten Bombardement und der Inkaufnahme von vielen Opfern habe das Verteidigungsministerium deutlich gemacht, welche Siege gegen „Aufständische“ man hier eigentlich anstrebt: „Je mehr tote Gegner, so offenbar die Logik, desto näher ist man seinen hehren Zielen in Afghanistan. Leichenzählen für die Erfolgsbilanz.“
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