Musik, die dramaturgisch denkt

Friedrich Schenker zum 60. Geburtstag Nichts schwerer, als zu beschreiben, warum einem die Musik eines Komponisten nahekommt; einfacher scheint es (vom Prinzip, nicht vom Aufwand her), ...

Nichts schwerer, als zu beschreiben, warum einem die Musik eines Komponisten nahekommt; einfacher scheint es (vom Prinzip, nicht vom Aufwand her), dem einzelnen Werk nachzuspüren, seinen Wirkungen, Verfahrensweisen, Herkünften. Ich gehe - der Anlass erfordert es - trotzdem aufs Ganze und platze heraus: Friedrich Schenkers Musik ist mir nahe, weil sie kurzweilig ist. Ich sage: kurzweilig, und nicht: unterhaltsam; sie ist kurzweilig, nicht weil sie unterhalten will, sondern sie unterhält, weil sie etwas zu sagen hat. Sie ist mir nahe, weil sie das Wort liebt, den Text, die verbale Basis, die sie auslegt, von der sie sich abstößt, auf die sie sich stützt, die sie verschlingt, die sie ausspeit. Weil sie voller Witz steckt und voller Pathos, was die wenigsten zusammenkriegen. Weil sie sich gern anlegt mit der Welt und ihren Fehlläufen. Weil sie wesentlich dramatisch ist, mithin: konfliktfreudig und unmelancholisch, was Affekte der Trauer, des Schmerzes, der Welt- und Herzbekümmernis nicht ausschließt, wohl aber introspektive Resignation. Weil ihre Weltlust groß genug ist, um sich gesellig zu geben, akkompagnativ zu allen möglichen (natürlich würdigen) Anlässen, die das Dazwischenfahren der Posaune - dieser Posaune - brauchen, um sich zu erfrischen, oder aber die Einladung vom Altan: Kommt her, es gibt was zu hören! Weil sie nicht nur originell, sondern original ist. Weil sie klingt (das Rätselhafteste von allem). Weil sie großen Atem hat (und einen weiten dazu). Weil sie spielt, ohne sich zu verspielen. Weil sie Zunft und Herkunft niemals verrät, ihren Charakter als europäische, als deutsche Musik. Weil sie dramaturgisch denkt und nicht ablässt, den Stücken Anfang und Ende zu geben, was manchen schon als konservativ erscheint. Weil sie voller Überlieferung steckt. Weil mir diese Überlieferungen (Dessau und Strauss, Beethoven, Bach und noch manch anderer) vertraut sind. Vielleicht: Weil die Zugehörigkeit zu einer Generation, zu einer Erfahrungslandschaft das Ohr besonders öffnet. Oder etwa, weil Schenker gern auf Berge steigt, Zigarren raucht und Skat spielt? Leider sind wir noch nie dazu gekommen, zusammen Skat zu spielen, vom Zigarrenrauchen und Bergsteigen ganz zu schweigen. Zumindest das erstere muss in Schenkers siebten Lebensjahrzehnt endlich anders werden.

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