Musik von Format

MP3 Vibrierende Synergien: Ohne das MP3-Dateiformat hätten Musikblogs nie den Einfluss bekommen, den sie heute haben. Kleine Geschichte eines weltweiten Siegeszugs

Vielleicht lässt sich die MP3 als Momentaufnahme beschleunigten Fortschritts bezeichnen, dessen Ursprung der Wille des Menschen ist, Dinge zu vervielfältigen und zu kopieren. Man kann aber auch sagen: ohne sie hätten Musikblogs nie den Einfluss bekommen, den sie heute haben.

Im Grunde ist die MP3 das, wovon unsere Eltern träumten, als sie umständlich versuchten, Radiosendungen mitzuschneiden oder Vinyl auf Kassetten zu bannen. Ihren Siegeszug allerdings konnte das bereits ab 1982 vom Fraunhofer-Institut entwickelte Format erst antreten, als die technischen Vorraussetzungen für deren gesellschaftliche Verbreitung in die Arbeits- und Kinderzimmer der breiten Masse Einzug hielt.

Mitte der neunziger Jahre schließlich einigte man sich, die MP3 auch als solche zu bezeichnen: ihr wurde das Kürzel ".mp3" verliehen, das wenig später auf den Festplatten der besten Familien tausendfach zu finden sein sollte. Einhergehend mit den ersten Wiedergabegeräten und der für Kodierung und Abspielen nötigen Software auf den ersten multimedial halbwegs ernstzunehmenden Rechnern trat sie ihren bis heute anhaltenden Siegeszug an.

Schnitzeljagd in den Salon

Ihr Weg ins Internet glich derweilen einer Schnitzeljagd. Lange bevor Apple die MP3-Player mit dem I-Pod salonfähig machte, setzte der Musik-Fan auf CDs. Die Ware Musik ausschließlich als Datei zu nutzen, erschien zu Anfang noch als zu schlicht oder vielleicht einfach noch als zu abstrakt. So wurde zunächst via Brenner die eigene Sammlung aufgestockt und nicht wenige Haptiker verzweifelten daran, Cover auszudrucken und Rohlinge optisch aufzuhübschen.

Von dort allerdings war der Tauschhandel der komprimierten Musik nicht mehr weit. Er verlagerte sich vom Wohnzimmer ins IRC, ein frühes Chat-Netzwerk, in dem kurz vor Ende des Jahrtausends ein zartes Pflänzchen aufkeimte, das die Musikindustrie als „Szene“ Angst und Schrecken lehren sollte.

Dabei wollte die „Szene“ im Kern nichts anderes sein, als ein digitales Wohnzimmer: ein etwas überdimensioniertes Stelldichein ihrer Mitglieder, die Zugang zu Promos und Frühveröffentlichungen hatte, bei dem Musik allerdings ausdrücklich privat und für den Eigengebrauch getauscht werden sollte.


Romantische Piraten, kalte Keller

So entstand ein globales Netzwerk, dessen Rückgrat aus den ersten, eher romantischen Internetpiraten, ein paar Servern in schwedischen Kellern und deutschen Universitäten sowie einem strikten Regelwerk bestand. Die „Szene“ war ziviler Ungehorsam im engsten Kreis, vielleicht etwas organisierter, aber am Ende nicht mehr als der ideologische Ziehsohn des Bootleggings, das schon unsere Eltern betrieben hatten.

Spätestens mit der Tauschbörse Napster allerdings halfen auch die besten Vorsätze nichts mehr, denn was die „Szene“ intern veröffentlichte, fand seinen Weg über Umwege in ein Netzwerk, das jedem zugänglich war und so zum Massen-Multiplikator für Lieder und Alben wurde, deren Veröffentlichungsdatum noch in weiter Ferne lag.

Damit hatte das Internet de facto die Musikindustrie überholt. Wer sich hier bediente, musste zwar durch ISDN oder 56k-Modem gedrosselt knapp 2 Stunden auf den Download eines Albums verwenden, war aber im Zweifelsfall seinen analogen Freunden in puncto Aktualität trotzdem um Lichtjahre voraus.

Schweigende Akzeptanz des Illegalen

Was fehlte, war die Öffentlichkeit, deren Abwesenheit vor allem darauf fußte, dass kurz nach der Jahrtausendwende gegen die Nutzer von Napster, die Betreiber von Servern und Mitglieder der „Szene“ mit aller gebotenen juristischen Gewalt vorgegangen wurde. Die Industrie zitterte und zeigte ihre hässliche Fratze, indem sie drohte, gegen jeden vorzugehen, der sich nicht auf den üblichen Vertriebswegen, sondern via Filesharing und Peer-to-Peer bediente.

Etwas später, im Jahr 2001, stellte Apple den ersten I-Pod vor, den ersten hübschen MP3-Player mit 5 Gigabyte Speicher. Dieser konnte mit knapp 2.500 Songs gespeist werden, für die man in I-Tunes umgerechnet etwa 2.500 € hätte berappen müssen – was völlig unrealistisch war. Dies bedeutete nichts anderes, als dass der Computer-Riese stillschweigend die Existenz illegaler Downloads anerkannt hatte. Spätestens mit der Implementierung des hauseigenen I-Tunes Music Store im Jahr 2003 legte die MP3 ihr verrufenes Image ab und wurde so gesellschaftsfähig, dass sie nicht nur im Verborgenen, sondern auch im publiken Auditorium des Netzes ihren Platz finden konnte.

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