Musik war immer wichtig

Was läuft Über Abspann- und andere Songs in „Mad Men“, „Stranger Things“ und „Bloodline“. Spoiler-Anteil: 2 Prozent
Ausgabe 37/2016

Folge 8, Staffel 5, Mad Men: „Seit wann ist eigentlich die Musik so wichtig?“ – „Musik war schon immer wichtig.“ – „Werbejingles, klar. Aber jetzt kommen alle und wollen einen Song, einen ganz bestimmten.“ – „Du magst es doch, wenn man ganz bestimmte Vorstellungen hat.“ – „Ja. Aber hiervon habe ich keine Ahnung!“ Der Dialog entspinnt sich in der Episode Lady Lazarus zwischen Don Draper und seiner zweiten, um einiges jüngeren Ehefrau Megan Calvet. Werber Don irritiert ein wachsender Abstand zum Zeitgeist, der sich im ihm fehlenden Zugang zur neuen Musik manifestiert.

Der Held zeigt ein Bewusstsein für etwas, das dem Publikum schon länger miterzählt wurde: Die allererste Mad-Men-Folge lief noch auf On the Street Where You Live aus My Fair Lady aus – ein Stück gediegener Unterhaltung, das man sich gut auf dem Plattenspieler der Drapers in Suburbia vorstellen konnte. Das Finale von Season 1 führte mit seinem end credit song bereits eine doppelte Form von Abgelöstheit ein: Don findet sein Haus von Frau und Kindern verlassen vor, und aus dem Off singt dazu Bob Dylan Don’t Think Twice, It’s All Right wie einen liebevoll-ironischen Kommentar von außerhalb. Abspann.

Seit wann ist eigentlich die Musik so wichtig? Wie zum Werbespot der Jingle, so gehörte zur TV-Serie die Titelmelodie. Manche dieser Originalkompositionen wurden selber Hits oder zumindest Ohrwürmer, klingende Trigger der Erinnerung. Bereits existierende Musikstücke, (ältere) Songs, waren noch in den 90ern kein relevantes Serienelement. Heute sind sie zum Beispiel ein Mittel zeitlicher Grundierung. Das gilt für Matthew Weiners Fallstudien in der Werbewelt der Sixties oder zuletzt fürs 80er-Sci-Fi-Horror-Revival Stranger Things, wo Should I Stay Or Should I Go von The Clash gar als musikalische Fangleine zwischen den Welten der Erzählung fungiert.

Bei Bloodline wiederum sind die end credit songs weniger nach zeitlichen als nach generischen Kriterien ausgewählt: War Pigs von Black Sabbath, Liar von der Rollins Band oder Sharks (Patrol These Waters) von Morphine passen wie die Faust aufs Auge zur Familie Rayburn, ihren Machenschaften und Geheimnissen.

Abgesehen vom Effekt narrativer Verdichtung ist das gut für Fans und fürs Community-Building. Musik war schon immer wichtig. Es gab aber noch keine Smartphones mit Musikerkennungs-App: Wenn die Frage nach dem Song, einem ganz bestimmten, auftauchte, dann konnte man nur im Plattenladen vorsingen wie Herr R. bei Fassbinder/Fengler. Heute gibt es tunefind.com, heardontv.com oder what-song.com. Dort kann man nachsehen, in welchen Serien ein und derselbe Song zum Einsatz kam (Konfliktpotenzial!), und man findet in den nächsten Onlinestore.

Werbejingles, klar – in eigener Sache. Aber vor allem wegen der Lizenzgebühren, die Serienproduzenten zu entrichten haben, kann man mit Musik in Serien Geld verdienen. Nicht immer gleich die 2012 kolportierten 250.000 US-Dollar, die laut New York Times an die Beatles und deren Rechtsnachfolger zu entrichten waren, damit Don Draper am Ende von Lady Lazarus dann Tomorrow Never Knows anspielen konnte.

Mad Men endete nach sieben Staffeln mit einem historischen Coca-Cola-Spot von 1971. Der dazugehörige Werbejingle („I’d like to buy the world a Coke“) wurde später im Songformat und umgetextet (I’d Like To Teach The World To Sing) neu veröffentlicht. Ein Ohrwurm. Kein Wunder, dass die Serienmacher ihre Helden neuerdings gleich selbst Musik produzieren lassen, siehe Vinyl oder The Get Down. Musik war schon immer wichtig.

In den 80er Jahren baute eine altehrwürdige US-Jeansmarke für ihr weltweites Comeback auf Werbespots: Junge Männer knöpften (!) mit etwas Rahmenhandlung ihre Denims auf und zu. Marvin Gaye, Sam Cooke oder Muddy Waters steuerten den Soundtrack bei. Die Serie von Spots wurde von einer britischen Newcomer-Agentur namens BBH ausgeheckt (die Zusammenarbeit dauerte bis in die nuller Jahre). 1992 setzte man auf intensives Technicolor und inszenierte eine Sixties-Poolparty, die sich auf The Swimmer bezog – John Cheevers Erzählung und den gleichnamigen Film von 1968. Und man verwendete dafür Dinah Washingtons Aufnahme von Mad About the Boy. Don Draper hätte sich das nicht schöner ausdenken können.

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