In den letzten Monaten wurde das Herbizid Glyphosat von verschiedenen Behörden und Institutionen als unbedenklich, wahrscheinlich krebserregend, wahrscheinlich nicht krebserregend und – das ist die jüngste Volte – offensichtlich doch krebserregend bezeichnet. Der Protest gegen den Widerspruch zum Widerspruch zur Unbedenklichkeit macht misstrauisch. Seit Jahren ringen Hersteller, Behörden und Aktivisten um die Frage, ob das weltweit am meisten eingesetzte Herbizid Glyphosat in Europa weiter verwendet werden darf. Es ist vermutlich der umstrittenste Stoff im Spritzmitteltank der Landwirte: Verantwortlich für Fehlgeburten und Missbildungen beim Menschen, sagen die Kritiker. Ein schonendes Pflanzenschutzmittel, ohne das klimafreundliche Bodenbearbeitung kaum möglich wäre, sagen viele Landwirte und die Hersteller.
Und jetzt haben rund 100 renommierte Wissenschaftler die seitenlangen Beurteilungen auseinandergenommen und reihenweise Fehler aufgedeckt, vor allem bei der Auswertung der Tierversuche mit Mäusen und Ratten. Ihr Urteil deckt sich in vielen Punkten mit dem des deutschen Toxikologen Peter Clausing vom Pestizid-Aktions-Netzwerk PAN Germany, der seine vernichtende Kritik einer Studie der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit schon vor Wochen veröffentlicht hatte. Überraschend ist es also nicht, was die Wissenschaftler einwenden.
Wem soll die Bürgerin glauben?
Doch umso größer ist der Schaden: Die Reihung von unaufgelösten Widersprüchen zerstört das Vertrauen der Bürger in ihre Behörden und Institutionen. Das ist der große Kollateralschaden, den der lange Streit um die Wiederzulassung von Glyphosat anrichtet. Denn wem soll ich glauben, wenn ich zufällig nicht Toxikologie, Mikrobiologie und Humanmedizin studiert habe und auch nicht auf Erfahrung in der statistischen Auswertung von Tierversuchen zurückgreifen kann?
„Mir doch egal“ kann ich nicht sagen, vermutlich habe ich das Zeug im Körper. Stichproben der kritischen Wissenschaftlerin Monika Krüger aus Leipzig und der Grünen-Bundestagsfraktion haben gezeigt, dass fast alle Urinproben von Menschen, auch wenn sie nichts mit Landwirtschaft zu tun haben, Glyphosat enthalten. Wenn ich mich nicht ausschließlich von Bio-Produkten ernähre, kann ich dem Zeug nicht entkommen. Unser Brot wird aus Getreide gebacken, das möglicherweise mit Glyphosat behandelt wurde. Und die meiste Milch stammt von Kühen, die glyphosatbesprühte Sojabohnen aus Amerika gefressen haben.
Muss man sich also Sorgen machen? Die einen, die es eh für übertrieben halten, was heutzutage alles für gefährlich erklärt wird, werden über die Panikmacher spotten, die uns sogar Fleisch und Wurst vermiesen wollen. Die anderen werden sagen, das alles sei eh ein abgekartete Spiel, in dem die Agroindustrie ihre Interessen durchpeitsche und die Behörden als willfährige Erfüllungsgehilfen fungierten. In einer komplexen Weltrisikogesellschaft ist es gefährlich, wenn die Bürger misstrauisch werden und sich von ihren Behörden betrogen fühlen.
Dagegen gäbe es einen einfachen und eleganten Ausweg: Die EU-Kommission sollte sich auf das Vorsorgeprinzip berufen, das seit dem ersten Umweltgipfel in Rio de Janeiro 1992 als Leitlinie der Umweltpolitik gilt, und Glyphosat verbieten. Und zwar so lange, bis Wissenschaft und Behörden seine Ungefährlichkeit unwidersprochen beweisen können.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.