Nach dem Mord ist vor dem Mord

Lebende Tote Thomas Ostermeier inszeniert an der Berliner Schaubühne die "Lulu" als Opfer des Vaters. Doch sie schießt sich frei
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Der Sexualtrieb des Weibes, das Männermordende des Vamp, die Sittenzerstörung durch die femme fatale: Thomas Ostermeier geht zu Recht davon aus, dass damit kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist, wenn das Theater ernst nimmt, was gesellschaftlich Sache ist. Der "schwarze Blitz" des Sexes, das Highlight des Fin de siècle, ist längst verraucht. Ungeachtet dessen, will jedoch, wer Karten für Lulu berappt, rassigen Sadismus à la Peitsche ebenso wie schwülen Masochismus à la Fesselung sehen. Lulu, die in der aufgeführten Urfassung von 1894 in allen Lebenslagen der Nutte stets Ehefrau ist, spielt beides als eine, von ihrer Seite immer abrufbare SM-Dienstleistung gegenüber ihren Ehemännern aus. Heute, ein Jahrhundert später, sind die daf