Neulich, als der Großvater der Enkelin seinen alten Fernseher vorführte, kam das bei dem Mädchen nicht gut an. Zwar zeigte die Kiste bunte Bilder, aber das Wichtigste fehlte ihr. Da half auch die Fernbedienung nicht. Denn wie sollte das Kind finden, was es sucht?
Dass es nur feststehende Programme gibt, ist einem Jugendlichen von heute kaum noch zu vermitteln. Für den Nachwuchs ist und bleibt Fernsehen ein mangelhaftes Youtube. Wie soll man dieser Generation da noch die neue Haushaltsgebühr begreiflich machen? Ab 2013 muss ja jeder Haushalt, egal, ob dort ein Fernseher oder ein Radio steht, monatlich 17,98 Euro zahlen. Auch wer das öffentlich-rechtliche Fernsehen nicht nutzt, soll es in Zukunft mitfinanzieren.
Die großen Rundfunkanstalten stehen offensichtlich mit dem Rücken zur Wand. Die Ära des Fernsehens geht unweigerlich zu Ende. Noch stimmen die Zuschauerzahlen. Um so schlimmer: denn die Beharrlichkeit der Institutionen hält die notwendigen grundsätzlichen Erneuerungen auf.
Seit über 50 Jahren ist es der Grundgedanke des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, dass Medien für das gesellschaftliche Zusammenleben zentrale öffentliche Güter sind. Daher sollen sie nicht allein den Gesetzen des Marktes unterworfen sein. Neue Rahmenbedingungen ändern daran nichts. Aber sie fordern neue Formen, Formate und Inhalte.
Die Folgen der Digitalisierung werden derzeit vor allem für die Zeitungen diskutiert. Überall liest man Klagen über wegbrechende Printauflagen, abwandernde Anzeigenerlöse und erodierende Geschäftsmodelle. Dagegen schien das Internet die Rundfunkanbieter bislang kaum herauszufordern. Die TV-Nutzung blieb auf hohem Niveau, die Erlöse auch. Doch letztlich stellt das Netz in Frage, was Fernsehen ausmacht, wie es produziert und konsumiert wird, und zwar grundlegender als die gedruckte Zeitung. Fernsehen war stets ein Push-Medium, Inhalte wurden in Sendeschemata angeordnet. Das Fernsehprogramm bestimmte nicht selten den Ablauf des Abends.
Die Malaise des Systems
Im Netz entfällt das Programm. Das Fernsehen als „Lagerfeuer der Nation“ – dieses heute nur noch mit dem Tatort oder Großereignissen wie Wahlen oder Fußball-Länderspielen verbundene Konzept – verglimmt vor den Augen der Fernsehmacher. So steht hinter der Fortsetzung einer Sendung wie Wetten dass..? letztlich der verzweifelte Versuch, den Erfolg der Vergangenheit, der stark an Marken und Gewohnheiten geknüpft ist, zu konservieren. Dabei wirkt das Format nach der Modernisierung antiquierter als je zuvor und steht damit symptomatisch für die Malaise eines öffentlich-rechtlichen Systems, das trotz diverser Experimentierkanäle konzeptionell, inhaltlich wie ästhetisch kaum Antworten auf das Internet gefunden hat.
Natürlich erfüllt auch das Netz nicht alle Wünsche. Dass nun jeder senden würde, erweist sich als Mythos, aber viele tun es eben doch. Neue Medien bringen neue Formen von Öffentlichkeit hervor. An die Stelle einer stummen und passiven Masse treten bewegliche und aktivierbare Vielheiten. In diesem Zusammenhang ist oft von der Zersplitterung der Öffentlichkeit und dem Verlust der sozial-integrativen Funktion der Medien die Rede. Nur wer die alte, vermeintlich homogene Form des Publikums zum Maß aller Dinge erhebt, kann sich darüber beklagen. Wir befinden uns heute mitten in einem Übergang. Internetfähige Geräte und Online-Videos stehen erst am Anfang. Einer Studie der Beratungsfirma Booz & Company zufolge wird das traditionelle lineare Fernsehprogramm 2020 nur noch etwa 50 Prozent des Marktes halten. Neuen Formen der Audiovisualität gehört die Zukunft. Um die nahe Zukunft nicht nur zu überleben, sondern mitgestalten können, müssen sich die öffentlich-rechtlichen Medien aus der institutionellen, politischen und ästhetischen Falle befreien:
Die institutionelle Falle meint den Hang zum Stillstand, der Anstalten und Medienpolitik gleichermaßen prägt. Die kommenden öffentlich-rechtlichen Medien müssten sich auf eine Weise organisieren, die nicht in einer Gerontokratie der Anstalten mit Inhalten für Rentner mündet. Das bedeutet, dass es nicht obskuren Gremien und Redaktionen obliegen darf, zu entscheiden, womit die Massen beglückt werden oder was als Qualität gilt. Im Netz haben die Menschen Autonomie gelernt. Sie werden den Anspruch der öffentlich-rechtlichen Anstalten, das Gemeinwohl zu vertreten, nur dann akzeptieren, wenn sie die Medien wirklich als ihre eigenen begreifen können.
Die politische Falle besteht in den strukturellen Herausforderungen der Demokratie und der Anbindung an die Politik. Der kurzfristige Erfolg der Piratenpartei hat überdeutlich gemacht, wie viele Stimmen sich jenseits der alten Medien erringen lassen. Mit dem „Rentnermedium“ Fernsehen wird bald kein Staat mehr zu machen sein.
Doch die politischen Fragen reichen tiefer. Die Rituale der repräsentativen Demokratie, Wahlzettel ebenso wie parlamentarische Sitzungen, stammen aus dem 19. Jahrhundert. Die Herausforderung, sich veränderten gesellschaftlichen Erwartungen und technologischen Möglichkeiten anzupassen, stellt sich für die Demokratie im Allgemeinen, aber auch für die Organisation der Grundversorgung. Mit der Einführung der Haushaltsabgabe wächst der Legitimationsdruck auf Sender und Rundfunkpolitiker, sich gegenüber den Bürgern stärker zu verantworten. Im Internet-Zeitalter sind transparentere und partizipativere Organisationsformen gefordert, um die eingefahrenen alten Gremien aufzumischen. Ein Produzentenbericht könnte begreiflich machen, wofür Mittel verwendet werden, ohne Geschäftsgeheimnisse oder Datenschutz zu verletzen. Nur wenn Bürger und Nutzer wirkungsvoll an Strukturen und Inhalten beteiligt werden, wird sich die Übereinkunft „Geld von allen gegen Programm für alle“ aufrecht erhalten lassen.
Die ästhetische Falle liegt im Festhalten an alten Formen und Formaten. Aus der Perspektive der Nutzer und Finanziers von ARD und ZDF erklärt sich deren Notwendigkeit nicht primär aus abstrakten Begrifflichkeiten und demokratietheoretischen Beschwörungsformeln, sondern daraus, dass die Sender etwas anderes produzieren, als der Markt ohnehin hergibt. Die Frage, was diesen Mehrwert heute ausmacht, kann angesichts sich rasant verändernder gesellschaftlicher und technologischer Verhältnisse nicht pauschal und langfristig beantwortet werden. Mit dem Outsourcing von Experimenten an sogenannte „Digitalkanäle“ ist es nicht getan, solange diese sich den üblichen Quotenmaximierungsmechanismen unterwerfen, sobald sich eine gewisse Sichtbarkeit einstellt, siehe ZDFneo. Um kommende Generationen zu erreichen, muss man deren Gewohnheiten verstehen. Das Fernsehen der Gegenwart ist auf Hits, Blockbuster und Quotenbringer fixiert. Aber im Netz erreicht der sogenannte „Long Tail“, also die große Masse der nur von wenigen gesehenen Inhalte, mehr Aufmerksamkeit als die wenigen Erfolge. Die Zuschauer sind längst daran gewöhnt, selbst zu finden, was für sie Sinn macht. Zu recht hat Holm Friebe kürzlich im Jahrbuch Fernsehen 2012 dafür plädiert, die gesamte Vielfalt der aus öffentlichen Mitteln finanzierten Inhalte verfügbar zu machen, vom Nischenkanal bis zu den Archiven. Die britische BBC ist mit gutem Beispiel voran gegangen und seit 2008 dabei, ihre Archivbestände zu digitalisieren und online verfügbar zu machen. Davon sind wir in Deutschland noch weit entfernt, doch läge hier hin ein vielversprechendes Projekt, um zu zeigen, dass Sender Allgemeingut sind.
Es gibt gute Gründe, das Prinzip öffentlich-rechtlicher Medien zu verteidigen. Dass Märkte sich irren können, wurde in den letzten Jahren in aller Deutlichkeit vorgeführt. Das gilt auch für den Markt der Medien. Heute agieren einige wenige Großverlage auf fast verlorenem Posten gegen internationale Plattformen, die sich monopolistisch ihre Funktionen im Netz aufteilen. Dagegen ein mediales Gegengewicht zu erhalten, das weder in den Händen privater Meinungsmacher liegt noch den Verkauf der Nutzerdaten zum Geschäftsmodell hat, macht durchaus Sinn. Allerdings müssten die neuen von der Allgemeinheit finanzierten Medien das Fernsehen, wie wir es kennen, weit hinter sich lassen.
Stefan Heidenreich forscht an der Leuphana Universität in Lüneburg im Zentrum für Digitale Kulturen zur Grundversorgung 2.0. Leonard Novy leitet das Institut für Medien- und Kommunikationspolitik (IfM) in Berlin
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