Nach Strich und Garten

Brooklyn Der botanische Garten ist ein kleines Paradies. Zeichner Felix Gephart über einen seiner Orte der Inspiration

Der botanische Garten in Brooklyn: Nicht überfüllt und voller Gelegenheiten, der grellen Sonne zu entfliehen und aus dem Schatten heraus die herrlichen Panoramen kontrastreich zu zeichnen. Anstelle der üblichen Soundkulisse Manhattans herrschte im Brooklyn Botanic Garden die Ruhe vor, die ich gerade dringend brauchte. Schwarze Flächen, tiefe Dunkelheit, radikale Aussparungen – diese Art zu arbeiten verliert man schnell, wenn man zuviel im Atelier sitzt, besonders dann, wenn man sich zu sehr auf Fotovorlagen verlässt.

Zu der Zeit hatte ich gerade begonnen, Orwell’s 1984 zu illustrieren – ein ebenso ergiebiges wie erdrückendes Thema, sodass ich auch froh war, mich zeitweilig in meinem „drawing on location“ Kurs im Rahmen meines Masters an der School of Visual Arts an einen anderen Ort begeben zu können als meine New Yorker Schuhbox, wie ich mein Atelier nannte. Wenn man sich ein Repertoire von Typen und Charakteren zulegen will, um diese dann in veränderter Form wieder in den eigenen Illustrationen aufzunehmen, sollte man sich getrost nach draußen begeben. So haben wir mit der drawing on location class einige einprägsame Orte besucht – das älteste New Yorker Boxing Gym beispielsweise, dessen intensive Atmosphäre auch bei geschlossenen Augen – das Rasseln der Ketten der Sandsäcke, die anfeuernden oder mahnenden Schreie der Trainer, das wütende oder erschöpfte Schnauben der Boxer – viel zu den Zeichnungen auf dem Papier beitrug.

Die wohlwollende Ignoranz der Besucher

„Continuous line“ hieß unsere Dauerübung – man setze den Stift nicht mehr ab und folge der Bewegung. Je schneller sich das Motiv bewegt, desto mehr ist das Gedächnis gefragt. Es hat allerdings gedauert, bis mir das klar geworden ist. Anfangs versuchte ich mit immer schneller werdenden Linien meinen Motiven förmlich hinterherzurennen – natürlich vergeblich. Manche Zeichner fanden zum Multitasking und arbeiteten an mehreren Figuren gleichzeitig. Die Überfülle von Möglichkeiten ist auch zeichnerisch typisch für New York. Egal, welche Motivwahl ich traf, mich beschlich ständig das Gefühl, etwas zu verpassen. Irgendwann hab ich dann zum ersten mal bewegte Motive aufs Papier bekommen: Die gigantischen Haie im New York Aquarium waren ganz nach meinem Geschmack, da sie gezwungen waren, immer wieder dieselben Wege einzuschlagen und ich auf diese Weise jeden Winkel ihres Körpers in Augenschein nehmen konnte.

Später, während meiner Chinareisen war es schwieriger, die Motive im Blickfeld zu behalten. Neugierige, die mir beim Zeichnen zuschauten, versperrten die Sicht. Im Botanic Garden jedoch waren die Besucher quasi Luft. Sie übten sich während meiner Zeichenübungen in wohlwollendem Ignorieren oder stillem Zuspruch – einer Mischung, die dem Zeichner Sicherheit und Ruhe garantiert. Das kam mir damals sehr gelegen, denn ich wollte nur den Ort zeichnen, so als ob ich mit ihm alleine wäre.

Wenn Sie ein Passant übers Zeichnen ausfragt, ist das schmeichelhaft, aber Vorsicht ist allemal geboten: Sind Sie zu mitteilsam, nimmt das Gespräch kein Ende, dabei wird das Zeichnen zur Unmöglichkeit. Seien Sie jedoch nicht zu unfreundlich, dies könnte schließlich ein Kunde sein. Und in New York könnten Sie jederzeit jemand Einzigartigen kennenlernen.

Talent oder mühsame Arbeit?

Die Kommentare von Kindern sind jedoch meist auch dort besser als die vieler Erwachsener. Ein spontanes „awesome“, „Boah“, oder, wenn es mir völlig missglückt, „what is he doing?“ sind da sehr aussagekräftig. Eltern sehen mich meist mitleidig an, wenn Sie begreifen, dass das Zeichnen just in diesem Moment unbezahlte Arbeit ist und sind erst dann beeindruckt, wenn ich versichere, dass ich davon leben kann. Gleichzeitig geben sie sich nicht eher zufrieden, bis ich all die Kunst auf das Talent geschoben habe – die Meinung, dass es weitervererbt wird, ist zwar unbewiesen, aber weit verbreitet. Von mühsamer Arbeit will kaum jemand etwas hören.

Felix Gephart, 34, hat in Düsseldorf Design studiert und in New York die School of Visual Arts besucht. Er arbeitet in Berlin, New York und China. Im Oktober sind neue Arbeiten des Zeichners auf den Messen Blooom in Köln und Stroke 03 in Berlin zu sehen.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden