Nach #unten: Weitermachen!

Armut Endlich reden wir von der Klassengesellschaft, von der Verteilung des Reichtums. Das genügt nicht. Wir müssen die Ursachen der Ungerechtigkeit abschaffen
Ausgabe 47/2018

Armut ist kein Geheimnis. Sie wird offiziell regelmäßig ermittelt. Wie das Ergebnis aussieht, welche Schlüsse daraus gezogen werden, das erklärt sich aus den jeweiligen Weltanschauungen und Interessen der Armutsermittler. Derzeit wird Armut von #unten vermessen. Erhebt jetzt die Armut ihre Stimme? Jedenfalls wird der Glaubenssatz in Frage gestellt, wonach jeder seines Glückes Schmied sei. Und selbst schuld, wenn das mit dem Glück nicht so klappt. Endlich reden wir also über: Klassengesellschaft.

Dementsprechend artikulieren sich unter dem Hashtag #unten auch Forderungen an die Politik: der Wunsch nach mehr Chancengleichheit, gerechterer Bildungspolitik, ausreichend Einkommen und nicht zuletzt jener nach einem Ende der feinen Unterschiede entlang der Herkunft, die, wenn man in der Hierarchie den falschen Platz erwischt hat, Ausgrenzung, Abwertung und Kränkung zur Folge haben. Die Politik, zumindest jene mit einem Selbstverständnis gleicher sozialer Rechte für alle, diskutiert Vermögenssteuern, Abschaffung von Hartz IV oder wenigstens der Härten davon, eine Steuerpolitik, die Ungleichheit ausgleicht – um nur wenige Beispiele zu nennen.

So schwer es in der Vergangenheit war, derartige Maßnahmen umzusetzen, so schwer bleibt es auch. Das ist kein Zufall. Es hat mit der Einhegung der politischen Handlungsmöglichkeiten im Rahmen einer Ökonomie zu tun, die der Verteilung des Reichtums enge Grenzen setzt. Sie hat nicht Wohlstand für alle, sondern Wachstum des Reichtums in privater Hand zum Zweck erkoren – ein Wachstum, dessen Anteile in einer globalen Konkurrenz errungen werden und das um seiner selbst willen stattfindet. In solch einem System zerschellen die Forderungen nach Umverteilung, wenn nicht flankierend eine ganze andere Bewegung von #unten auf die Bühne tritt: als Ausfallschritt von der „Klasse für sich“ zur „Klasse an sich“.

Die Differenz beider beschrieb Karl Marx so: „Die ökonomischen Verhältnisse haben zuerst die Masse der Bevölkerung in Arbeiter verwandelt. Die Herrschaft des Kapitals hat für diese Masse eine gemeinsame Situation, gemeinsame Interessen geschaffen. So ist diese Masse bereits eine Klasse gegenüber dem Kapital, aber noch nicht für sich selbst.“ Das eine ist, eine Klasse zu sein, das andere ist, sich dessen bewusst zu sein. Ersteres existiert noch, das andere ist im Neoliberalismus der vergangenen Jahrzehnte abhandengekommen, vielleicht schon früher. Und nicht zwangsläufig resultiert aus der „Klasse für sich“ eine „Klasse an sich“, ebenso wenig wie aus der „Klasse an sich“ ein emanzipatorisches Projekt folgen muss.

Wer gehört zur Klasse, die #unten ist? Strukturell weist Klasse den Individuen eine ökonomische Funktion und eine soziale Stellung zu. Es stehen sich drei große Klassen gegenüber: der Arbeiter, der gezwungen ist, seine Haut zu Markte zu tragen, da er keine Produktions- und Subsistenzmittel besitzt; der Kapitalist, der letztere besitzt und deshalb erstere für sich arbeiten lassen kann; und der Grundeigentümer, der aus dem gesellschaftlich produzierten Mehrwert seine Rente abschöpft.

Das ist eine hoch abstrakte Aufteilung, keine fertige Klassentheorie. Auch Marx bleibt hierzu fragmentarisch. Er spricht noch von der „unendlichen Zersplitterung der Interessen und Stellungen, worin die Teilung der gesellschaftlichen Arbeit die Arbeiter wie die Kapitalisten und Grundeigentümer ... spaltet“. Wir würden heute vielleicht von Schichten und Milieus sprechen, hierarchisch strukturiert und ausdifferenziert. Klar ist aber: Die Zugehörigkeit zur arbeitenden Klasse geht nicht allein in Armut auf. „Armut“ kann Elend bedeuten, muss aber nicht. Aber sie zeigt die Differenz an zwischen dem, was die Arbeiter erhalten, und dem Reichtum, den sie produzieren.

Im Kapitalismus wird gesellschaftlich produziert, aber privat angeeignet. Daraus folgt eine bestimmte Verteilung des Reichtums auf die Klassen, die dann staatlich nur noch modifiziert wird. Nicht auf den Kopf gestellt. Wer umverteilen will, müsste diese Logik in Frage stellen, also an die Wurzel gehen. Klingt nicht nach sexy Klassenpolitik. Vielleicht ist das ja das Problem.

Sabine Nuss verlegt die Marx-Engels-Werke im Karl Dietz Verlag. Sie hat jüngst den Band Der ganze normale Betriebsunfall. Viermal Marx zur globalen Finanzkrise herausgegeben

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