Seit Juli liegt er vor, der EU-Konventsentwurf zu einer Verfassung für Europa, mit ihm soll die EU zu einer Rechtspersönlichkeit werden, die international handlungsfähig ist und Verträge abschließen kann.
In vier Teile gliedert sich der bis jetzt 263 Seiten dicke Entwurf, er umfasst unter anderem die in den Verhandlungen in Nizza 2000 deklarierte Charta der Grundrechte der Union. Als Quellen für die Grundrechte-Charta dienten hauptsächlich die nationalen Verfassungen, aber auch internationale Übereinkommen wie die UN-Menschenrechtserklärung, die Konventionen des Europarates und die Sozial-Chartas. Als Indikatoren für die Verfassung eines Landes gelten unter anderem die Demokratie und die Gleichstellung der Geschlechter. Demokratischer sei d
cher sei die EU geworden, wie Konventsmitglieder bekräftigen, denn mehr Nähe zur Bevölkerung sei hergestellt worden.Doch großes Staunen ergab sich für Frauenverbände auf nationaler und europäischer Ebene, als sie sich auf die Suche nach "Frauen" in den Entwürfen des Vertragstextes machten. Nichts stand da von der Gleichstellung der Geschlechter im Teil I, der die Werte und Grundrechte der Union darlegt, auch suchten sie vergeblich nach der im Amsterdamer Vertrag (1997) definierten Politik des "Gender-Mainstreaming" oder der Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, die schon in einem Übereinkommen der UNO 1979 fest verankert wurde. Als déjà-vu im Hinblick auf "Bretter-Bohren" bezeichnet Mechthild Rawert von der Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokratischen Frauen in Berlin die Kraftakte, die die European Women´s Lobby auf EU-Ebene oder der Deutsche Frauenrat bei einem mit 83 Prozent von Männern besetzten Konvent vollbringen mussten. Viel Lobbyarbeit war nötig, um die Konventsmitglieder zu juristisch wichtigen Sprachänderungen zu bewegen, wie beispielsweise von der "Förderung der Gleichheit" zur "Bekämpfung der Ungleichheit".Dieser Grundsatz findet sich jetzt in der Verfassung. Außerdem wird jede Art von Diskriminierung auf Grund des Geschlechts verboten. Vereinbar mit dem Gleichheitsgrundsatz ist auch die Beibehaltung oder Einführung von Vergünstigungen für das jeweils unterrepräsentierte Geschlecht. Bei der Wahl der Kommissionsmitglieder sind die Staaten aufgefordert, Listen zu erstellen, die beide Geschlechter berücksichtigen. Darüber hinaus hat die Union auch in Zukunft das Recht, durch Erlass von Rahmengesetzen weitere Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierung zu ergreifen. Obwohl die Gleichstellung der Geschlechter in der Union ein altes Thema ist, fragt man sich, warum der Konvent das vorher nicht realisieren konnte.Sucht man nach statistischen Daten zum Frauenanteil in den EU-Organen, muss man fleißig sein im Auszählen, denn es gibt wenig eigene Erhebungen hierzu. In der EU-Kommission sind unter 20 Mitgliedern jetzt fünf Kommissarinnen, zwei Generaldirektionen beschäftigen sich mit Frauenbelangen. Die Kommission gilt durch ihr Initiativrecht als Hauptmotor der Gleichstellung und hat zahlreiche Richtlinien zur Chancengleichheit und eine Reihe von Rechtsvorschriften und Aktionsprogrammen erlassen. Auch das Europäische Parlament steigerte seinen Frauenanteil um 26,7 Prozent, unter den 626 Abgeordneten sind 195 Frauen. In 17 Ausschüssen haben drei Frauen den Vorsitz, bei den Delegationen sind magere sieben Frauen unter 35 Vorsitzenden zu finden. Seit 1985 existiert der Ausschuss für die Rechte der Frau, der mit der Implementierung von Rechtsvorschriften und Programmen betraut ist. Sogar beim EuGH finden sich drei Frauen unter insgesamt 24 Personen in richterlicher Funktion. Wichtige Rechtsprechungen des Gerichtshofs waren Ende der Neunziger die "Soldatinnen-Urteile", die Frauen den Weg zum Dienst an der Waffe und in Kampfeinheiten eröffneten.Was jetzt als Grundlage für eine EU-Verfassung steht und am 4. Oktober in der Regierungskonferenz mit 25 Ländern auf den Tisch kam, ist nach wie vor in Gefahr, bei den Tagungen hinter verschlossenen Türen zerpflückt oder Opfer von Deals zu werden. Die Frauenverbände, die NGOs aus dem Umwelt- und Sozialbereich und die Kirchen werden auch weiterhin spannende Wochen und Monate vor sich haben. Am 12. Dezember wird die nächste Gipfelkonferenz in Brüssel tagen, um weiter über die Verfassung zu beraten. Die Regierungen haben erklärt, dass sie die Verfassung bis zu den Wahlen zum Europaparlament am 13. Juni 2004 verabschieden wollen. Zum 9. Mai 2004 ist die offizielle Unterzeichnung geplant. Aber auch dann ist es noch ein langer Weg, denn die Verfassung muss in allen Ländern ratifiziert werden. Frühestens 2006 kann sie dann, wenn alles gut läuft, in Kraft treten. Änderungen im Verfassungstext sind in Zukunft dann nur noch einstimmig durchsetzbar.