Das Neue Deutschland war in früherer Zeit nicht gerade für freie Kommunikation bekannt. Doch die Zeiten ändern sich - seit einigen Monaten ist zumindest das ehemalige Gebäude der "deutschen Prawda" am Berliner Franz-Mehring-Platz einer der wichtigsten Knotenpunkte der entstehenden alternativen Kommunikations-Infrastruktur, die Berliner Computerfreaks für die Hauptstadt aufzubauen im Begriff sind. Der so genannte BerlinBackBone, eine Mikrowellen-Datenfunkverbindung zwischen "Kristallisationspunkten" von Moabit bis Friedrichshain, soll bald schon als "Rückgrat" eines freien Datenfunknetzes in der deutschen Hauptstadt dienen, erklärt Jürgen Neumann von der Initiative Freifunk.net. Steht der Backbone erst einmal, können theoretisch Tausende Berliner
Nachbarschaft aus der Konservendose
Freies Netz für alle Mit den "Freifunkern" auf WLAN-Basis scheint sich erstmals eine "Neue Soziale Bewegung" nicht gegen, sondern auf Grund einer neuen Technologie zu konstituieren
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n theoretisch Tausende Berliner nicht nur fast umsonst im Internet surfen, sondern auch ungehindert und fast kostenlos untereinander kommunizieren.Was sich anhört wie der neuste Werbegag der Internet-Industrie, ist tatsächlich nur die Übernahme eines im Ausland längst mit einigem Erfolg praktizierten Kommunikationsmodells. Die Basistechnologie, auf der diese Kommunikationsrevolution basiert, ist dabei weder neu noch obskur. Es ist die WLAN-Technik, die inzwischen auch von der Deutschen Telekom in Werbespots mit Michael Ballack breit beworben wird. Wireless Local Area Access Network ist eine Technologie, die einen DSL-Internet-Anschluss per Funkverbindung statt Kabel mehreren Rechnern zugänglich macht. So soll etwa der Kabelsalat in großen Büros vermieden oder - wie Ballack in der Telekom-Werbung vormacht - der ganze Garten zu einer Internet-Zugangszone mutieren.Was allerdings Computertüftler wie Neumann jetzt aus der Sache machen, hatten die Marketing-Strategen der Deutschen Telekom wohl kaum im Sinn. Hält man diese Sender nämlich "einfach zum Fenster hinaus", erklärt Neumann, können sie quasi "von der Straße aus mitbenutzt werden." Auf diese Weise können alle, die sich in der Nähe eines WLAN-Zugangspunktes befinden und ihre Rechner mit der vergleichsweise günstigen WLAN-Karte ausgerüstet haben, die ungenutzten Kapazitäten des von seinen Eigentümern zur Verfügung gestellten DSL-Anschlusses kostenlos mitbenutzen. Ein schneller Breitband-Anschluss kann dabei auf mehrere Dutzend Benutzer aufgeteilt werden, und würden auch die Kosten für diesen unter des Usern geteilt, müsste der einzelne kaum noch etwas für seinen Zugang zum World Wide Web bezahlen.Das klingt tatsächlich einigermaßen "revolutionär". Der nicht ganz billige Breitband-Internet-Anschluss, der für den modernen Medien-Menschen längst zu einer Art Daseinsvoraussetzung geworden ist, wird durch radikale, selbst organisierte Kostensenkung sozusagen demokratisiert - noch dazu über geradezu abenteuerlich anmutendes Low-Tech-Material: WLAN funktioniert ohne weiteres auch mit selbst gebastelten Antennen. Doch der fast kostenlose Internet-Zugang ist noch nicht einmal der Punkt, der WLAN für die "Untergrund"-Computerszene so interessant macht. Viel spannender, erklärt Neumann, ist die mit der WLAN-Vernetzung einhergehende Möglichkeit direkter Verbindungen zwischen den teilnehmenden Computer-Benutzern. Steht beispielsweise in Berlin erst einmal der Backbone, könnte ein WLAN-Computer in Moabit mit einem WLAN-Computer am anderen Ende der Stadt ohne Umweg über das Internet in Verbindung treten. Und dabei stellen die Mikrowellensender - so beschränkt ihre Reichweite auch ist - eine Bandbreite und damit Sendekapazität zur Verfügung, die die Leistung von DSL noch übersteigt. Ein solches "Intranet" unter den WLAN-Benutzern einer Stadt oder Region könnte also, wie auch Jürgen Neumann hofft, zwischen den einzelnen Benutzern das möglich machen, was sich viele vor gut einem Jahrzehnt bereits vom "großen" Internet erhofft hatten: freie Kommunikation von gleichberechtigten Teilnehmern in einem Medium, dessen Regeln und Ausdehnung von seinen Nutzern festgelegt werden. Im WLAN-Sendeberich ist alles denkbar: Von Bürger-Plattformen, die wichtige, aber den normalen Medien zu "kleine" Nachrichten verbreiten, bis hin zu lizenzfreien Community-Radio und ähnlichen Projekten nachbarschaftlicher Kommunikation.In den letzten Wochen haben die deutschen Medien viel über die Berliner WLAN-Tüftler berichtet. Ein Rastalocken tragender "Computerfreak" auf einem schmutzigen Berliner Dach präsentiert eine Antenne, die er aus einer Sauerkrautdose gebastelt hat. Ein zweiter Protagonist sitzt im nächsten Park auf der Wiese und kann im Internet seine E-Mails aufrufen - Stoff genug für sensationalistische Berichte. Der Mann mit der Dosenantenne heißt Ulf Kypke-Burchardi und lächelt ein wenig über den "Hype", der über ihn hineinbrach, nachdem die Bild-Zeitung sein Freifunk-Projekt WLANhain vorgestellt hatte. Kaum hat er rund 100 Berliner Nutzer an sein Netz gebracht, tun die deutschen Medien, als habe er die Sache erfunden. Dabei ist das WLAN-Prinzip außerhalb der Bundesrepublik schon längst weit verbreitet, und zwar "von Kanada bis Kongo".Besonders beeindruckt ist Kypke-Burchardi von zwei WLAN-Regionen: Einmal von der Metropole Athen, wo ein großer Breitbandbedarf auf schlechteste Infrastuktur traf und ein chaotisches Wuchern von WLAN-Netzen provozierte. Über 2000 kleine Nachbarschaftsnetze, Selbsthilfe-Accesspoints und geteilte Anschlüsse listet ein WLAN-Verzeichnis im Internet für die griechische Hauptstadt auf. Doch noch begeisterter sind Datenfunker wie Kypke-Burchardi von einer Region, die wohl so ziemlich das Gegenteil der quirligen mediterranen Großstadt darstellt: der dänischen Region Dursland. Die liegt ziemlich genau dort, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen: Weit draußen im Hinterland, wo sich weder touristische Attraktionen, noch nennenswerte Wirtschaftsbetriebe finden. "Strukturschwach" nennt man das wohl. In den letzten Jahren haben hier Dutzende freiwillige Helfer eines der größten WLAN-Netzwerke der Welt aufgebaut. Über 1200 Hauhalte sind damit verbunden - und die meisten der Teilnehmer haben sich durch WLAN erstmals überhaupt mit Computertechnik befasst. Doch vorbildlich ist Dursland nicht nur wegen der großen Ausdehnung und technischen Perfektion des dortigen Netzes, das auf selbstgebauten Masten längere Distanzen durch Wälder und Felder überwindet. Vorbildlich am dänischen Hinterland-Netz ist vor allem die Nutzung der Technologie: Die entlassenen Redakteure der längst eingestellten regionalen Tageszeitung betreiben hier ein gut funktionierendes regionales Nachrichtenportal; räumlich kilometerweit voneinander entfernte "Nachbarn" tauschen kostenlos Informationen aus. Geplant ist weiterhin die Nutzung des Netzes für ein lokales WLAN-Fernsehen, eine Radiostation und nicht zuletzt für ein regionales Netz dann ebenfalls weitgehend kostenloser Internet-Telefonie. Die WLAN-Technik kennt, ist sie erst einmal solide installiert, nur wenig Grenzen in der Nutzung.Warum sollte eigentlich, was auf dem flachen Land in Dänemark klappt, nicht auch in den "strukturschwachen" deutschen Landstrichen an der Oder und in Mecklenburg funktionieren? Die belebenden Potenziale einer solchen selbstgebauten Low-Tech-Vernetzung sind kaum von der Hand zu weisen. Doch einstweilen ist das ganze Kapitel der Nutzung in Deutschland noch Zukunftsmusik. Langsam erst entstehen die Ansätze der technischen Möglichkeit eines deutschen "Dursland". Und am fortgeschrittensten sind diese Ansätze da, wo die Breitbandversorger am nachhaltigsten versagt haben. Kypke-Burchardi, dessen Friedrichshainer WLANhain-Netzwerk in Deutschland derzeit wohl das größte sein dürfte, wurde eigentlich von der Deutschen Telekom auf die Idee gebracht. Denn der rosa Riese hatte Anfang der Neunziger in Berlin-Friedrichshain überwiegend die damals "super-modernen" Glasfaserkabel verlegt, die sich wenige Jahre später allerdings als für DSL-Verbindungen einigermaßen ungeeignet erwiesen. Statt diese Leitungen nachträglich für den heute gängigen Breitband-Standard umzurüsten, verlegt der deutsche Netzanbieter inzwischen neben den Glasfaserleitungen herkömmliche Kupferkabel - eine Art Rückbau, wie WLAN-Funker mit süffisantem Grinsen kommentieren. Insofern hat zumindest in Berlin-Friedrichshain die Telekom selbst für die Zustände gesorgt, die jetzt zur Folge haben könnten, dass sich viele potenzielle Kunden in Zukunft gar nicht erst bei ihr melden.Auch wenn dies alles für den Exmonopolisten überaus ärgerlich ist: Auf rechtlicher Ebene kann der Telekom-Konzern kaum gegen Kypke-Burchardi und andere ehrenamtliche Infrastukturarbeiter aufkommen. Denn im vergangenen Jahr hat die EU beschlossen, das ISM-Mikrowellen-Funkband, auf dem WLAN-Wellen übertragen werden, prinzipiell frei zu geben. Wer also seinen Anschluss per Datenfunk für andere Öffnen und sich stadtweit vernetzen möchte, muss dies lediglich per Vordruckformular bei den Regulationsbehörden ankündigen. Solange Kypke-Burchardi für seine Dienste keine Gebühren verlangt und den legalen ISM-Sendebereich nicht verlässt, tut er nichts Verbotenes. Somit bestehen für die vermutlich erste "soziale Bewegung", die sich nicht gegen, sondern auf Grund einer neuen Technologie konstituiert hat, auch für die Zukunft beste Bedingungen. Und so wird die weltweite WLAN-Funker-Gemeinde, die sich im kommenden September auf Einladung der deutschen Freifunk-Initiative im dänischen Dursland treffen will, nicht - wie bei "Bewegungen" sonst oft oben auf der Tagesordnung - über "Repression" und Einschränkung seitens der Behörden unterhalten müssen. Im Gegenteil: Was das Politische angeht, wollen Neumann und seine Mitstreiter sogar in die Offensive gehen und sich - nach dem Vorbild einer US-amerikanischen Initiative - zu einer Kampagne für die Freigabe weiterer Funkbänder für die "Zivilgesellschaft" verabreden. Was wird zum Beispiel mit den Sendebändern, die bisher dem auslaufenden analogen Fernsehen vorbehalten waren?Mit einigen Jahren Verspätung hat eine Technik, der - mit einigem Recht - oft eine eingebaute demokratische Tendenz nachgesagt wird, nunmehr also auch Deutschland erreicht. Diese Verspätung ist selbst verschuldet: Wau Holland, leider zu früh verstorbener Vater aller deutschen Hacker und des Chaos Computer-Clubs, hatte schon vor knapp 15 Jahren, als die wegen der vergangenen Zweistaatlichkeit überzähligen Sendebänder verteilt wurden, dazu aufgerufen, freie Sendebereiche zu schaffen, in denen mündige Bürger ihre eigenen Kommunikationswege schaffen könnten. Man hätte auf ihn hören sollen, wie so oft.
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