Die jüngste Debatte um Doping im professionellen Sport lässt so manchen Sportreporter den Journalisten in sich entdecken. Das gelingt nicht ganz reibungslos: Es werden Interviews geführt, in denen zwar keine erhellende Frage gestellt, umso mehr aber das eigene "brutalstmögliche" Nachhaken ausgestellt wird; es werden ganz grundlegende Zweifel an der weiteren Übertragung von Radsport geäußert, während bei gleichzeitigem Verweis auf die Involviertheit des AC Mailand in einen Bestechungsskandal vom phantastischen Champions League-Halbfinale gegen Manchester geschwärmt wird. Diese Koexistenz von rigider Moral und investigativem Eifer auf der einen Seite und affirmativer Bezugnahme auf den Sport auf der anderen ist weniger scheinheilig als vielmehr sy
symptomatisch: Es ist die Betriebsgrundlage für den Mediensport und die Sportberichterstattung.Im Gegensatz zu dem, was im Zuge der Doping-Diskussion unterstellt und gefordert wird, kann die Sportberichterstattung nicht einfach komplett auf das Modell von Journalismus einschwenken, das sich für Politik, Ökonomie, Gesellschaft zumindest als normativer Maßstab (wenn auch nicht immer als Realität) etabliert hat. Ein banales Beispiel: Im Anschluss an das DFB-Pokalfinale Stuttgart gegen Nürnberg gibt der Trainer der Nürnberger Mannschaft, Hans Meyer, der Journalistin Monica Lierhaus ein Interview. In Reaktion darauf witzelt der Moderator Gerhard Delling mit seinen Studiogästen Beckenbauer und Netzer, dass Meyer sich wohl nur deshalb mit seinen sonst üblichen bissigen Anmerkungen zurück gehalten hätte, weil ihn eine "so schöne Frau" interviewt hätte; Delling verkneift es sich noch nicht einmal anzumerken, dass ja wohl auch Beckenbauer und Netzer sehr viel lieber da unten bei Frau Lierhaus stünden als bei ihm. Das ist ein besonders ekliges Beispiel (auf das der Fernsehsport verzichten könnte), es zeigt aber, dass Sportberichterstattung Dinge macht und machen kann, die zwar bei Thomas Gottschalk und Wetten dass, ganz sicher aber nicht bei Tom Buhrow und den Tagesthemen als akzeptabel gelten. Zumindest fanden sich in der Presse, die die "Hofberichterstattung" des Fernsehens zur Tour de France heftig kritisiert, keine nennenswerten Einwände gegen die Übertragung des Pokalfinales.Dass die Sportberichterstattung anders verfährt als der politische Journalismus, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass der moderne, professionelle und massenmediale Sport einen widersprüchlichen Status besitzt: Er ist Teil der Gesellschaft, ihrer Politik und Ökonomie und bildet zugleich einen Sonderbereich mit ganz eigenen Regeln und Emotionen. Innerhalb der Medien tritt der Sport manchmal als ein eigenständiger Realitätsbereich auf, über den mit kritischer Distanz zu berichten ist, manchmal aber auch schlicht als ein Produkt der Medien - ein Genre, das mit ästhetischer Raffinesse und mit einer spannenden Dramaturgie versehen werden muss. Es fällt auf, wie sehr sich die Sportberichterstattung immer wieder darum bemüht, die Grenze zwischen dem "eigentlichen" Sport und dem, was nicht dazu gehört oder zumindest nicht dazu gehören sollte, zu bestimmen: Hooligans sind demnach keine "echten Sportfans", politische Konflikte sollen bei Olympischen Spielen oder Fußballturnieren keine Rolle spielen (die Staatsoberhäupter werden trotzdem gerne ins Bild gesetzt). Letztlich ist gerade die Definition eines "eigentlichen" Sports die Voraussetzung dafür, den Sport fortlaufend neu mit den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Ansprüchen und Ideologien (etwa Fairness, Leistung, Patriotismus) zu verknüpfen. Der Sport bleibt eine "schmutzige" Kategorie: Alle seine Eigenschaften sind immer schon Resultat widersprüchlicher Einflüsse und Anforderungen.Die moralische Rigidität, die sich der Sportjournalismus im Rahmen der Dopingdiskussion nun selbst verordnet, muss diese Ambivalenzen des Mediensports leugnen. Dies zeigt sich am deutlichsten daran, dass mit der Aufdeckung von Doping (nach dem Muster des investigativen Journalismus) alle Teilaspekte des Sports unter Verdacht stehen. Dabei ist es nachvollziehbar, dass die Sportberichterstattung, Doping nicht schlicht ignorieren kann. Sie kann auch nicht willkürlich Kriterien des Kulturjournalismus verwenden und Drogenkonsum als Ausweis eines Künstler-Images darstellen, das vielleicht (man denke an das aktuell prominente Beispiel des Sängers Pete Doherty) gerade zur Authentizität der Darbietung beiträgt. Dies ist dem Kulturjournalismus ja nur möglich, weil er die Kriterien seiner Geschmacksurteile selbst definieren kann und jeweils neu ausweisen muss. Der Sportjournalismus ist demgegenüber in seinen Beurteilungen sowohl abhängig von "objektiven" Resultaten (Sieg und Niederlage) als auch von den immer schon vorhandenen Funktionszuweisungen an den Sport (Vorbildcharakter, Gesundheit etc.).Keineswegs selbstverständlich ist aber, dass der Sportjournalismus angesichts des Dopings Zuflucht bei einer politischen und juristischen Semantik sucht und entsprechend nichts anderes als "Betrug", "Kommerz" und "künstliche Hilfsmittel" diagnostizieren kann und somit bereitwillig auf alle eigenen Kriterien verzichtet. Als Motiv für Doping kommt dann nur Gier oder Leistungsdruck der Sponsoren in Frage. Die Fernsehzuschauer werden in der Folge zum Konsumboykott bei kommenden Radsportübertragungen aufgerufen. Was dem Sport so häufig (und keineswegs zu Unrecht) vorgeworfen wird - dass er sich nur am Kommerz orientiere - wird hier von einer rigiden Kritik tatsächlich vollendet: Sie gibt jede Bemühung auf, um zu zeigen, dass es auch in einem umfassend ökonomisierten Sport andere Motive für Doping geben kann als nur die Einkommenssteigerung (und dass Zuschauer anders als ökonomisch auf Doping reagieren könnten). Der investigative Journalismus geht außerdem davon aus, dass Doping (beziehungsweise der Dopingnachweis) automatisch überraschende Momente, packende Auseinandersetzungen oder das Miterleben körperlicher Kraft oder Schönheit ausschließt. Sowohl die Gleichung von Doping und Kommerz als auch die schlichte Gegenüberstellung von Doping und "authentischer sportlicher Leistung" resultiert aus dem übereifrigen Bemühen nach Eindeutigkeit und aus der vorschnellen Ausblendung der Widersprüchlichkeiten des Sports. Der Verdacht drängt sich auf, dass damit weniger der Sport (der immer "schmutzig" bleiben wird) als vielmehr der Journalismus "rein" gehalten werden soll.Es geht es hier keineswegs darum, den Sport zu rechtfertigen oder als Hort einer besseren Welt zu feiern. Wenn aber der Sport, trotz der Nationalismen und Sexismen, die er fortlaufend produziert, einen Blick und eine Berichterstattung lohnt, dann doch deshalb, weil er zumindest in Momenten, zumindest an seinen Rändern andere Affekte und auch andere Wahrheiten zur Diskussion stellt als eine von der Politik definierte "Fairness" oder eine von der Ökonomie definierte "Leistung". Die Frage ist, ob man tatsächlich nur dann über Doping reden kann, indem man auf diese Aspekte verzichtet.Dr. Markus Stauff ist Mitarbeiter am Forschungskolleg Medien und kulturelle Kommunikation an der Universität Köln.
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