Ich stehe in einer Phalanx schimmernder, von allen Seiten ausgestrahlter Leiber in einem Raum aus Glas und Stein. Über hundert Frauen, positioniert und ausgerichtet, bilden ein lebendes, atmendes Karree, das in den Dimensionen des Raums unterzugehen scheint. Der einzige Lichtpunkt in einem Meer diffuser Dämmerung, in Szene gesetzt, perfekt präsentiert. Aufgesogen, absorbiert und verdaut.
Wir stehen und warten. Wir wissen, was geschehen wird.
Aus dem Steinboden dringt die Kälte in unsere hoch aufgerichteten, trotzig vorgereckten Körper. Wir alle sind freiwillig hier, haben eingewilligt, uns den Vorgaben zu unterwerfen, Teilchen einer Installation, ohne jedes Einspruchsrecht. Wir haben verfügt, dass über uns zu verfügen ist.
Wir tun es wegen des Geldes,
t.Wir tun es wegen des Geldes, in erster Linie; wäre die Teilnahme unbezahlt, der Großteil von uns wäre nicht hier. Aber es ist auch Selbstbestätigung und Überwindung. Let us do what you fear the most ...Wir tun, was wir fürchten, wir präsentieren uns nackt als Anschauungsobjekt, setzen uns der Neugier und dem möglicherweise vernichtenden Urteil anderer aus. Augen, die uns bis in den letzten Winkel begutachten, Münder, die sich in dem Moment leicht verziehen, in dem sie ihre abschließende Meinung über Bauch/Beine/Po, über unsere vor ihnen ausgebreitete Körperlichkeit äußern.Wir sind die Attraktion, Inhalt und Form der Veranstaltung, sie kommen wegen uns - den willig Willenlosen, da nach dem Willen einer Anderen arrangierten Werkzeugen.IISie werden die Brüste der 20-jährigen Arzthelferin mit denen der doppelt so alten Sekretärin vergleichen, die Orangenhaut der Studentin mit den Ausbuchtungen am Hintern der arbeitslosen Frau aus Wilmersdorf; über die Linie des sanft geschwungenen Nackens der seit 25 Jahren auf Erfolg hoffenden Künstlerin, die Pose der professionell modelnden jungen Frau mit dem Botticelli-Gesicht sprechen.Wir stehen starr, die Hände an den Seiten, die Augen nach Weisung ausgerichtet in eine Richtung, bereit, Befehle zu empfangen, Treue zu geloben; eine Aufreihung erstarrter Puppen.Uns schützen keine Schaufenster, keine serienmäßig in Plastik gepressten Idealmaße - wir haben mit unserer gegebenen Einwilligung und der zurück gelassenen Kleidung auch jedes Recht auf Distanz, auf die Illusion einer individuellen, unverwechselbaren Existenz abgestreift.IIIWir sind im hinteren Teil des Raums platziert, in einer langen Diagonale vom Eingang her; die Leere macht es möglich, auch weit Entferntes genau zu beobachten. Das Eintreffen der ersten Gäste in großer Abendgarderobe, die unauffälligen, beiläufig diensteifrigen Gesten der Servicekräfte, wenn sie ein Glas Sekt reichen oder den kostbaren Pelz behutsam mit den Fingerspitzen entgegennehmen. Flüchtige Blicke streifen unsere Reihen, ziehen sich schnell wieder zurück, wandern weiter durch den leeren Raum.Man ist irritiert, die Situation verunsichert doch stärker als erwartet. Wir stehen im hinteren Drittel starr aufgerichtet, die Geladenen verharren im vorderen Teil des Saales, drängen sich in Gesprächskreisen und warten auf ein Vorgehen als Gruppe.Wir beobachten, unsere Muskeln gespannt, unsere Augen hart auf die Anderen gerichtet, die gekommen sind zu einer Vorführung und nun selber bestaunt werden.Energie strömt durch unsere Körper, trotz unserer unterlegenen Position als rein konsumierbare Objekte schöpfen wir Kraft aus der direkten Konfrontation. Die Kälte, die Unsicherheit, die steifen Gelenke - das alles belastet kaum noch; wir haben den kupfernen Geschmack der Überlegenheit in unseren Mündern. Wir beherrschen die Situation. Unsere verletzliche Nacktheit, unsere Fehlerhaftigkeit bleiben Sieger gegen ihre erlesenen Perlen.Wir saugen diese Macht mit jeder Pore auf, schmecken sie, sie füllt uns aus, umgibt uns wie die Strahlen der Scheinwerfer. Wir sind keine einzelnen, fehlerhaften Körper mehr, wir sind ein leuchtendes, monolithisches Denkmal unser Selbst.IVWir stehen, wechseln zwischen Spiel- und Standbein, knicken an den Hüften leicht ein, lockern die verhärteten Schultern; wir spüren die Belastung, unsere Körperlichkeit kostet Kraft. Jegliches Zeitgefühl geht verloren, nur die immer steifer werdenden Gelenke und die sich in unseren Körpern ausbreitende Kälte sind Indizien für das Vergehen der Zeit.Das Raunen der Gespräche füllt den Raum, schwillt an - sie nähern sich. Wir sind nicht nur nackt, wir sind auch stumm und auf die uns zugewiesenen Plätze gebannt. Wir sehen die Woge auf uns zukommen und verharren starr in der vorgegebenen Pose.Ich sehe sie auf uns zubranden. Sie haben zu ihrer Sicherheit, ihrem privilegierten Lebensgefühl zurück gefunden. Sie wissen, wir sind Objekte, geschaffen und angeordnet zu ihrer Unterhaltung. Jetzt mehr als je zuvor, denn wir sind schwach, ausgelaugt von Kälte und physischer Anstrengung; und sie spüren es, fühlen unsere vollständige Niederlage.Ich stehe ganz vorne, sehe die Gruppe der Neugierigen sich teilen wie Gischt an dem Fels unserer Reihe. Einige verharren frontal vor uns, andere wandern an den Seiten entlang, verharren für einen genaueren Blick und schreiten dann weiter. Sie haben Besitz ergriffen; der Raum und wir existieren nur noch für sie.Ich stehe noch immer, viele haben sich trotz der Kälte gesetzt oder kauern in den unterschiedlichsten Haltungen auf dem nackten Stein. Ein seltsamer Reiz geht aus von diesen angeordneten und nun doch selbst positionierten Körpern, ein lebender, atmender Wald. Einzelne Gewächse, aber gerade durch das Zusammenspiel anziehend.VIhre Blicke, ihre Gespräche, ein Gewebe von gelangweiltem Amüsement über die Besonderheiten einer Frau und gesellschaftlichem Smalltalk. Gerade für sie, die Beobachter, sind wir nicht existent.Meine Augen blicken knapp über ihre Stirnen hinweg, meine Sinne jedoch sind auf mich gerichtet; verweigern sich ebenso ihrer Wahrnehmung, wie sie meine Existenz negieren. Mein Körper ist erstarrt, zurück geworfen auf sich selbst.Aber ich stehe, die einzige Möglichkeit, meine Selbsterhaltung, Kraft schöpfend aus der Verachtung, zu zeigen. Jede Faser angespannt, verhärtet durch die über mich hereinbrechenden Gefühle, die sich nur durch meinen Körper, durch mich ausdrücken lassen. Eine Feder aus Stahl, die dem Druck nicht standhalten kann, zusammenklappen muss und zu einem letzten, wütenden Aufbäumen ansetzt. Und während ich auf die Knie sinke, genieße ich die lodernde Flamme des Hasses, die mich verzehrt.Sarah Ernst, geboren 1980, genießt das Leben in Berlin - erheblich weniger das Arbeiten in der prekären Realität; bleibt aber bislang optimistisch und hofft auf grundlegende gesellschaftliche Veränderungen.
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