Ich war noch nie in Schweden, diesem harmlos sympathischen Land mit seinen abscheulichen Alkoholpreisen und den ungezählten Lehrstühlen für Gender Studies. Doch in nur einer einzigen Nacht lernte ich, weshalb sich alle Menschen auf der ganzen Welt stets völlig zu Recht in Schweden verlieben: Ich traf die Band Friska Viljor in einem Hilton in Dortmund.
Nun checkt man in ein Grandhotel wie das Hilton nicht ein, ohne mal eben an den 1987 im Beau-Rivage in Genf ertrunkenen CDU-Politiker Uwe Barschel zu denken oder unnützes Wissen zu aktivieren, wie die Tatsache, dass die Stadt Wiesbaden um das Jahr 1900 die höchste Dichte an Grandhotels weltweit aufwies; 30 bei 100.000 Einwohnern. Mit Hotels ist es ohnehin so eine Sache, und der Autor Alexander von Schönburg h
46;nburg hat in seiner Publikation Die Kunst des stilvollen Mitredens (2014) das Notwendige gesagt: Das Übernachten im Hotel sei nur ein Kompromiss, den man eingehen müsse, wenn man am Zielort der Reise keine Freunde habe. Und überhaupt, die sehr kurze Blütezeit der schillernden Hotels sei schon lange vorüber und existiere heute nur noch als trostlose Verklärung bedauernswerter Touristen. Vielmehr sei es – immer noch von Schönburg – doch so: „Die Grandhotels der Metropolen sind heute streng genommen nichts weiter als palastartige Riesenbordelle.“ Das ganze Elend von Geschäftsreisen also.Biedere vier SterneDas Bild, so würde ich schlussfolgern, das wir uns heute vom Mythos Hotel machen, provozieren Filme wie Grand Budapest Hotel, auf die sich zwar alle einigen können, die aber nur zeigen, dass Wes Anderson seit 15 Jahren denselben Film dreht. Umso überraschender traf mich die Erkenntnis, dass selbst an einem so geschmacklosen Ort wie einem Hilton-Hotel wundersame Dinge passieren können – wenn höchst betrunkene Schweden die Führung übernehmen. Zwar ist das skandinavische Trinkverhalten für sich schon wieder so ein ganz schlimmer Mythos, den wir an dieser Stelle aber erneuern. Seit genau 20 Jahren findet im Dortmunder Westfalenpark das sehr schöne Musikfestival Juicy Beats statt. Beliebt ist es vor allem bei den Musikern selbst, da es auch mittelkleinen Bands eine Übernachtung in dem unmittelbar neben dem Park gelegenen Hotel garantiert. Und weil der Name Hilton trotz biederer Vier-Sterne-Einrichtung und messingverkleideter Aufzüge noch immer die Illusion des Mondänen weckt, wollen Bands dort eben gern hin.Nun habe leider auch ich eine solche Band, und einmal übernachteten wir in jenem Hotel, nachdem wir zuvor mit Friska Viljor gespielt hatten. Eine ganz ausgezeichnete Band! Zum einen, weil sie aus einem Witz entstanden ist, was immer gut ist, und zum anderen, weil ihr bisweilen an die Flaming Lips erinnernder Indie-Sound von einer schlauen und heiteren Lakonie bestimmt ist. Auf ihrem gerade erscheinenden Album My Name Is Friska Viljor gibt es den Song Laundry, in dem es heißt: „How you’re supposed to be in love / when you are just talking ’bout the laundry / when you always tell me to clean up – and when you can never ever stop.“ Sehr gut, sehr richtig. Auf die Urheber dieser Zeilen also traf ich im Anschluss an das Festival sehr spät in der Lobby des Dortmunder Hilton, in der ein hässlicher, weiß lackierter Flügel stand, die Simulation von Eleganz. Noch geschmackloser ist eigentlich nur noch das durchsichtige Modell von Richard Clayderman.Die Dancing QueenDas Klischee über trinkende Schweden geht so: Schweden trinken nicht wie wir rund um die Uhr, manchmal mehr, manchmal weniger, sondern nur zu bestimmten Anlässen. Dann aber mit ehrfurchtgebietender Konsequenz und Anmut. Während einem betrunkene Deutsche erfahrungsgemäß große Angst machen, verwandeln sich betrunkene Schweden in stilsichere Götter. Die Sachlage am Flügel war nun, dass Friska Viljor unbedingt weitertrinken mussten, die hübsche, blonde Bardame ihre Theke aber längst schließen wollte. Es saßen und standen zunächst nur ein paar Gestalten um den Flügel herum, als die beiden Schweden anfingen, für das Fräulein an der Bar (und nur für sie!) die größten Love Songs aller Zeiten zu spielen.Man ahnte, dass noch nie zuvor jemand für sie gesungen hatte. Ich werde ihren verträumten, leicht verschämten Blick beim Zapfen vieler frischer Biere in den unzähligen Stunden nie wieder vergessen. Zu Hause wartete vielleicht nur ein ordinärer Mann auf sie. Mit jedem folgenden, noch lauteren, noch schöneren Song zapfte sie beherzter – sie würde die Bar nie wieder schließen. Als dann wirklich alle in der Lobby „You are the dancing queen“ intonierten, mittlerweile waren alle Hotelgäste selbstverständlich wieder aus ihren Zimmern gekommen, um zu staunen, holten Friska Viljor – völlig richtig! – auch noch den letzten Trumpf aus dem Ärmel und zogen sich komplett aus. Ein paar der unwahrscheinlichsten Fotos aller Zeiten machte dabei mein Bandkollege. Nackte Hintern, primäre Geschlechtsmerkmale, weiße Tasten, weißer Flügel – es war, so empfand ich es, für alle Beteiligten ein Moment von Epiphanie. Alles ergab einen Sinn. Und ich weiß genau, dass in diesem Augenblick die meisten Anwesenden ebenfalls nackt sein wollten, sich aber nicht trauten.Seither jedenfalls verstehe ich, was an Schweden so faszinierend ist. Man mag einwenden, hier wäre bloß ein Rockstar-Mythos durchexerziert worden, da Friska Viljor im Hotel aber eigentlich niemand kannte, fällt dies als Erklärung für den Überschwang der Gefühle aus. Laute, schwitzend betrunkene, nackte Männer sorgen überall auf der Welt für Furcht und Schrecken. Wenn es Schweden sind, erobern sie sogar die Herzen ängstlicher Hotelfachfrauen.Placeholder authorbio-1
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