Nackte Männer auf dem Damenklo

Die Kosmopolitin Was sich in einem Leipziger Designhotel über das Rollenbild der Frau feststellen lässt
Ausgabe 13/2017
Klare Verhältnisse: Frauen denken ans Shoppen, Männer an Fußball
Klare Verhältnisse: Frauen denken ans Shoppen, Männer an Fußball

Foto: Westend61/Imago

Diesen Text schreibe ich in einem Hotel in Leipzig, aber die Stadt ist nicht von Bedeutung, weil es dieses Hotel exakt mit derselben Inneneinrichtung, Playlist – die Lautstärke wird für alle Hotels zentral von Frankfurt aus geregelt –, mit demselben Duft, der in allen Lobbys versprüht wird, in Paris, Wien, Schanghai, Hongkong und zig anderen Städten dieser Welt gibt. Stichwort: Wiedererkennungswert. Das wiederum ist von Bedeutung, denn irgendjemand wird sich etwas gedacht haben bei folgendem Einrichtungsdetail: Auf der Tür zur Frauentoilette ist die Zeichnung einer Frau. Über der Frau hängt eine Denkblase. Auf der anderen Toilette ist dasselbe zu sehen, mit einem Mann. Die Frau auf dieser Tür denkt: Shopping. Der Mann denkt: Football. Ich stehe erst einmal zwei Minuten davor: Meinen sie das ernst? Oder ironisch? Eine humorvoll gedachte Anspielung auf Geschlechterbilder, über die man schmunzeln kann? Ist es für diese Art von Schmunzeln nicht schon zu spät? Ein alter Hut, denke ich, aber wische die Hoffnung beiseite. Ohne eine Antwort zu haben, betrete ich die Frauentoilette. Dort stelle ich fest, dass auf den Innentüren nackte, muskulöse Männeroberkörper prangern, Bizeps als Schatten. Ich wage einen Blick auf die Herrentoilette: Dort sind nackte Frauensilhouetten zu sehen, mit langen Beinen. Das hoffnungsvolle Zögern gebe ich auf: Es ist nicht ironisch gemeint.

Vergangene Woche traf ich auf zwei 14-jährige Mädchen, die Sweatshirts trugen, auf denen sie sich zu Girls Power bekannten: „Girls are so cool“ stand auf dem einen, und auf dem anderen waren die Vokale, vielleicht um die Botschaft zu unterstützen oder aus sonstigen Gründen, die ich nicht mehr verstehen werde, weil ich wohl alt geworden bin, weggelassen worden: „GRLS PWR“ las ich. Warum das hübsche Mädchen mit den langen, blonden Haaren sich diesen Sweater gekauft hatte, wollte ich wissen. „Weil er so schön pink war!“, sagte sie, und ich schwöre, auch das war nicht ironisch gemeint. Ich hätte gerne etwas gesagt, wusste aber nicht einmal, wo ich ansetzen sollte. Das Argument hätte von meinem siebenjährigen Sohn stammen können, der Pink, Rosa und Lila liebt, und manchmal Lippenstifte und manchmal Handtaschen, und hochhackige Schuhe eigentlich immer. Aber es wäre ihm ausgeredet worden, so wie der Fahrradhändler ihm das rosafarbene Rad ausgeredet hatte, mit dem Satz: „Aber du bist doch ein Junge!“

Auf dem Weg nach Leipzig hatte ich den ehrlichen, verblüffenden, deshalb so nachdenklich machenden Text eines nigerianischen Autors gelesen, der offen beschrieb, wie schwer es manchmal ist, sich an das hierzulande herrschende, aus seiner Sicht so starke Rollenbild der Frau zu gewöhnen, wenn man aus einem Land stammt, in dem Frauen ihren Männern das Essen immer noch auf Knien servieren, um ihre Demut zu demonstrieren. In Leipzig stand ich in einem vor zwei Jahren eingerichteten Designhotel vor den Toilettentüren, hatte den Glauben an Ironie verloren und dachte, dass die Dinge vielleicht im Verhältnis oder als Prozess zu sehen sind. Und dass Prozesse manchmal an Stillstand erinnern oder an Rückwärtsbewegung. Es wäre vielleicht zu offensichtlich, wenn ich den Text beendete mit: Ich dachte nicht an Shopping.

Die deutsch-russische Autorin Lena Gorelik schreibt als Die Kosmopolitin für den Freitag. Zuletzt erschien von ihr der Roman Null bis unendlich (Rowohlt 2015)

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