Dylan war wieder in der Stadt, und Gründe, diesen Kerl im Feuilleton einer Zeitung zu erwähnen, gibt es ständig. Ein Mitglied der Schwedischen Akademie, die den Literaturnobelpreis vergibt, sagte erst vor wenigen Wochen in einem Fernsehinterview, Dylan sei ein "absolut denkbarer" Kandidat für diese Auszeichnung. Gleichfalls neulich erhielt Dylan den "Polar-Musikpreis" für herausragende Leistungen in modernen Musikformen, verliehen wurde der Preis - wie ja auch der Nobelpreis - vom schwedischen König Carl Gustaf, bezahlt von Ex-Abba-Manager Stig Anderson. Außerdem wurde Dylan neulich 59 Jahre alt, und das war vielleicht von allen Gründen der letzten Wochen, aus dem Kerl eine Nachricht zu machen, der unwichtigste. Seinen Geburtstag feierte Dylan auf ei
einem Konzert in Dresden am 24. Mai 2000, am Abend zuvor spielte er in Berlin auf, wo auch ich mich einfand.Für einen Weltstar ist so eine Birthday-Party ziemlich langweilig, da ist wohl auch für den Sechzigsten nicht wesentlich mehr zu erwarten. Dass Bob Dylan seit Jahren seine auch so genannte "Never Ending Tour" runterspult, ist einfach kein Ereignis mehr, wie ja auch der Umstand, dass er einmal jährlich Geburtstag feiert, nicht so recht kommentierbar ist. Das tun bekanntlich alle Menschen, und nur bei jenen, der Gesellschaft entrückten Leuten, Stars eben, Helden wie Inge Meysel, die diese Woche ihren Neunzigsten feierte, ist das noch ein Ereignis.Bob Dylan ist aber nur an solchen Tagen entrückt, wenn man in der Zeitung liest, dass er wieder mal bei Carl Gustaf oder dem Papst aufgetreten ist. Ganz und gar nicht entrückt ist er aber, wenn er in Deutschland aufspielt, und das hat er seit 1979 ziemlich regelmäßig getan. Zu oft, muss man vermuten, war er hierzulande, denn von den riesigen Zuschauerzahlen bei seinen riesigen Konzerten in Nürnberg auf dem Reichsparteitagsgelände oder in Berlin/Hauptstadt der DDR im Treptower Park ist nicht viel übrig geblieben. Die Hallen werden immer kleiner, die zahlenden Zuschauer weniger, und älter wird das Publikum auch.Die Generation, der Bob Dylan etwas bedeutet, wird kleiner, unbedeutender, und sie rückt zusammen. Dylan, der ja - auch wenn es schmerzt, dies zuzugeben - nicht nur nicht Gitarre spielen kann, nicht singen, und nicht Mundharmonika spielen kann, sondern auch von angemessener Kleidung, die man tragen sollte, wenn man sich größerem Publikum präsentiert, nicht die Spur einer Ahnung hat, und dessen Manieren immer noch so zu wünschen lassen, wie die eines verklemmten 15-Jährigen, wenn die Oma verkündet, nochmal heiraten zu wollen, dieser Dylan hat mit all diesen wunderbaren und sympathischen Eigenschaften das Denken und Fühlen seiner Konzertbesucher und Plattenkäufer nachhaltig beeinflusst. Meins zumindest.Dylans Generation sind die Menschen, die noch heute karierte Hemden tragen, keine Krawatten binden können, Britney Spears unerotisch finden und die MEW-Bände im Regal stehen haben (oder auch Dylan-Alben chronologisch geordnet, was aufs Gleiche rauskommt). Dylan-Fans wissen nicht, was sie sagen sollen, wenn einer ein Hochschuldiplom schafft, oder stolz erzählt, er sei Vater geworden, und schon gar nicht fallen ihnen Gratulationsworte zu einer Beförderung ein. Schlechter Benimm ist bei Dylan und seinen Fans halt immer dabei.In Berlin war Bob Dylan gut gelaunt. Alle Konzertkritiker haben dies mit Begeisterung zur Kenntnis genommen. Doch gute Laune ist bei Dylan, dem hervorstechendsten Vertreter der Dylan-Generation, ja bloß das, was bei jedem anderen Musiker Minimalstandard ist: Er hat gelächelt, er hat zu Konzertbeginn "Good Evening" gesagt, er hat mehr als nur lustlos die Band vorgestellt, dabei vom Schlagzeuger gar behauptet, er sei der "best drummer of the world", und am Ende hat Dylan gar sieben (!) Zugaben gespielt. Aber ein Dylan mit guten Manieren ist nicht kostenlos zu kriegen.Während Dylan mir nämlich näher rückt und solange tourt, bis ihn jeder Mensch auf diesem Erdball, der seiner Musik wenigstens nicht ganz abgeneigt ist, mindestens zweimal live gehört hat (ich womöglich zwanzigmal) und er Gefahr läuft, dass er womöglich gleich in der Kneipe auftritt, in der ich zufällig hocke und ein Bier trinke, kriegt er den Rappel, dass das alles nicht sein darf.So uninspiriert und ohne Sinn für Effekte er das Wo für seinen 59. Geburtstag aussuchte - eine Konzertreise durch Deutschland -, so bombastisch war das Wie, die Art, wie er seine Musik intonierte, und hier mit Vorliebe die ganz alten Sachen. Da war kaum noch etwas zu hören von seiner Tugend, gerade die alten Songs zu zerlegen, zu zerhacken und so geraunzt und genuschelt zum Vortrage zu bringen, dass man sie nur noch an Textfetzen erkennen konnte. Nein, ein beinah 60-jähriger Dylan trägt seine Lieder richtig melodisch vor. Nicht mal dem als zweite Zugabe gespielten "Forever Young" war ein Hauch von Selbstironie anzuhören, vielmehr stellte sich die Band neben ihm in einer Reihe auf, diente so als Chor, und die verheißene "ewige Jugend" war nicht mehr so weit weg von anderen gerade im Mainstream liegenden Männermusikdarbietungen. Von allem das Beste, gut gemischt, das ist Dylan 2000. Bob Dylan tut jetzt auf der Bühne, was er vor zwanzig Jahren hätte tun sollen, als ich ihn an der Freilichtbühne Loreley bejubelte, obwohl er mit Background-Chor gekommen war, hätte er damals bloß ein richtiger Star werden wollen.Aber wer wollte damals schon Karriere machen? Er scheinbar nicht, und was er jetzt besingt, sind die verpassten Chancen. Womit er sich schon wieder mit seinen Zuhörern trifft. Dylan war bei Jesus, bei Bill Clinton, beim Papst und bei Carl Gustaf. Aber so ganz übel sind weder Dylan noch seine Fans. Als siebte Zugabe spielte er in Berlin "Blowin' in the Wind", und da gab es die verdienten Pfiffe. Diesen durch Jugendmessen mit Kaplänen, die Jeans unterm Kostüm tragen, verunstalteten Song wollte ein kleiner renitenter Teil des Publikums nicht hören, zumal er sich in der Art, wie Dylan ihn zusammen mit seiner Band sang, verdächtig nach "We are the world" anhörte. Nach "Blowin' in the World" zog sich Dylan zurück, wahrscheinlich ins Hotel, wahrscheinlich auf den Geburtstag anstoßen. (Eine Zeitung kolportierte, dass er Pech hatte und im Foyer von Wim Wenders in ein Gespräch verwickelt wurde.) Wir Zuschauer gingen nach Hause und wissen: Dylan bleibt ein Thema. Auch für mich.
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