Bis vor kurzem galt das enervierend wiederholte Gebot der Nachhaltigkeit allen wirtschaftlichen und politischen Handelns. Bis vor kurzem sollte der Kohlendioxyd-Ausstoß radikal reduziert werden. Und bis vor kurzem hatten wir die Welt von unseren Kindern nur "geborgt".
Dann regnete die Krise apokalyptisch vom Himmel. Sie lehrte uns, wie kompliziert, wie widersprüchlich das Verhältnis von Ökonomie und Ökologie immer noch ist, welches vom christlich-sozialdemokratischen-ökoliberalen Mainstream so gerne als komplementär beschrieben wurde: Nur nachhaltige Produktion - so das bsi vor kurzem das Mantra - sei zukunftsrelevant für unseren Exportstaat. Und jetzt? Gilt doch nur der Primat des kurzzeitigen Profits?
It's getting better – oder?
Lehrreich ist ein lange anhaltender Blick in die Vergangenheit. Außerordentlich hilfreich ist dabei das Werk "Die Eroberung der Natur" des renommierten Harvard-Historikers und Experten für deutsche Geschichte David Blackbourn. Der Titel verweist auf die "Macher" von Landschaft und deren ideologische Überzeugung, dass der Mensch zum Herrn über die Natur geboren sei (was Adam Smith und Karl Marx einte). Es ist vor allem die nüchterne, faktengesättigte Herangehensweise des Autors, die besticht. Er stellt beide Perspektiven dar, die "optimistische", bis in die siebziger Jahre vorherrschende (Blackbourn zitiert die Beatles von 1967: "It's getting better all the time") und die darauf folgende "pessimistische", die bis in die neunziger Jahre prägend war und eine Zunahme an Katastrophen prophezeite.
Blackbourn stellt diese Thesen in bester materialistischer Tradition gegenüber und postuliert, dass "es möglich sein müsste, zwei widersprüchliche Ideen im Hinterkopf zu behalten". Dialektisches Denken heißt bekanntlich nicht, dass man einen faulen Kompromiss der Mitte treffen muss.
Der Mensch zwischen Walen und Delphinen
Der Autor untersucht akribisch auf breiter Quellenbasis "dramatische Episoden" der deutschen Umweltgeschichte: die "Urbarmachung" des Oderbruchs im 18. Jahrhundert, die Begradigung des Oberrheins, die Kolonisierung der Moore und den geradezu obsessiven Talsperrenbau um die Jahrhundertwende. Dabei wird vor allem folgenes deutlich:
Erstens. Es gibt keine unberührten "natürlichen" Landschaften im Deutschland der Neuzeit. Selbst der "Urwald" war durch menschliches Handeln entstandener Wald. Das Eingreifen etwa der Preußenkönige mit dem "kameralistischen Blick" (Blackbourn) schuf neue Landschaften im Oderbruch, die irgendwann – beispielsweise in der Romantik oder nach der Einführung der touristischen Bewirtschaftung in der Folge von 1989 als "natürlich" oder "ursprünglich" empfunden wurden.
Zweitens. Umweltpolitisches Handeln ist stets im Zusammenwirken der historischen Dimensionen Wirtschaft, Politik, Kultur, Ideologie und Mentalität zu interpretieren. Blackbourn zeigt dies exemplarisch am Ausbau des Jadebusens. Glaubte noch Friedrich II., der Mensch sei "nicht dazu gemacht zwischen Walen, Delphinen, Steinbutten und Kabeljau zu leben", so ergab sich im 19. Jahrhundert aus der Expansion Preußens die "Notwendigkeit", eine preußische Flotte aufzubauen. Also musste ein Hafen her, sinnigerweise "Wilhelmshaven" genannt. Die enstprechende Öffentlichkeit wurde durch die Presse hergestellt, die dafür den preußisch-französischen Gegensatz instrumentalisieren konnte. Technische Voraussetzung war die Entwicklung des Eisenbahnbaus. Die Manpower lieferten das preußische Militär und Wanderarbeiter aus Polen und Litauen. Hunderte dieser Menschen starben an Malaria. Opfer für den Fortschritt? Der Historiker Blackbourn blickt über das Ereignis hinaus und analysiert die politisch-ökonomischen Konsequenzen des umweltpolitischen Eingriffs: Wilhelmshaven war Schauplatz der Matrosenrevolte im Oktober 1918. Die Stadt war so abhängig von ihrem Marinestützpunkt, dass sie aufgrund der Bestimmungen des Versailler Vertrages Tausende von Arbeitsplätzen verlor. Dies wiederum erhöhte die Anfälligkeit der Wilhelmshavener für den Nationalsozialismus. Die Vorbereitung des nächsten Krieges sorgte wieder für Vollbeschäftigung - und dann für die Zerstörung der Stadt durch Bombardierung in den letzten Kriegsjahren.
Naturschutz bei den Nazis
Am interessantesten ist jedoch das Kapitel "Rasse und Bodengewinnung". Blackbourn zeigt hier, wie die Pripjetsümpfe zur Projektionsfläche des deutschen Nationalismus wurden, auf welcher beispielhaft die angebliche Dichotomie "polnischer Wirtschaft" und "deutschen Ordnungssinns" sichtbar werde. Diesem Stereotyp wuren - wie Blackbourn schlüssig belegt - zunehmend rassistische Elemente beigemischt. Nach dem Sieg im "Blitzkrieg" 1939 sahen die NS-Planer "eine Blütezeit für...deutsche Landschafts- und Gartengestalter". "Blühende Landschaften" - eine weitere deutsche Kontinuität. Der Naturschutz war – man möchte sagen: selbstverständlich - eingeplant. Jedes von den "Volksdeutschen" zu besiedelnde Dorf, jeder Kreis hatte Naturschutzareale nachzuweisen. Die Konsequenz dieser Siedlungspolitik - Blackbourn zeichnet dies detailliert nach – war die von Himmler schon 1939 so genannte "Evakuierung" der polnischen Juden, die in Auschwitz enden sollte. Was aber noch lange nach dem Krieg Vertiebenenvertreter nicht davon abhielt, das hohe Lied der deutschen Kolonisierung des Ostens zu singen. Doch auch hier weist Blackbourn auf die "Ironie" der Geschichte hin: von den Pripjetsümpfen aus operierten ab 1943 Zehntausende von Partisanen darunter auch jüdische Verbände.
Und was bedeutet dies alles für uns Krisengeschüttelte? Zuallerst genau hinzuschauen - nicht nur in Umweltfragen übrigens -, zu fragen nach dem Interessengeflecht, den Akteuren, den Handlungsanweisungen, nach den Gewinnern und Verlierern und - vor allem - nach den langfristigen Konsequenzen von Entscheidungen. Jakob Burckhardt lehrt, dass Geschichte nicht klug macht. Aber weise macht sie schon.
David Blackbourn: Die Eroberung der Natur. Eine Geschichte der deutschen Landschaft. München 2007 (DVA), München 2008 (Pantheon-Verlag)
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