Ich taufe dich kurzerhand Nabu. Das Wort steht ganz groß in Weiß auf deinem blauen, ärmellosen Hemd, das luftig und weich über den Bund deiner anthrazitfarbenen, knielangen Hose fällt.
Es sind 32 Grad im Schatten. Müde stehe ich auf dem brütend heißen Alexanderplatz. An einem Tisch unter einem riesigen roten Schirm verspeise ich eine üppige Chinapfanne: »Reis, Gemüse und Geflügel« zu 5,99 Mark. Ein Storch kreist auf dem Shirt über deinem Namen. In China werden sie die ja wohl nicht in die Pfanne ...
Euer Sonnenschirm ist genauso riesig wie der chinesische und so blau wie dein Hemd. Dich hat man auf junge Frauen angesetzt. Es ist leicht, forsch zu sein mit einem Faltblatt in der Hand: Du flirtest im Dienste der Natur. Locker tänzelst du mit strahlend weißen Turnschuhen auf jedes Mädchen zu, das dir gefällt, verführst es mit deinen blendenden Zahnreihen, trittst so nah heran, dass sie deinen makellosen Teint bewundern, den Duft deiner samt-bronzenen Haut atmen kann. Lasziv wirfst du deinen dichten, glänzend schwarzen Schopf hin und her und hältst dem Mädchen deinen Flyer entgegen. Schon hast du sie.
»Seh´ ich etwa aus, als würde ich Werbung machen?« rufst du einer nach. Das wäre dir mit mir nicht passiert. Fünf Meter stehst du jetzt von meinem Tisch entfernt, aber Männer siehst du nicht. Für die sind die Mädchen an eurem Stand zuständig. Warum erzählst du mir nichts von Biotopen und Naturparks, Elchbrücken über oder Krötentunneln unter Autobahnen?
»Viele Förderer unterstützen unsere Arbeit auch durch Spenden, andere bedenken den Nabu in ihrem Testament«, steht in dem Flugblatt, das eines eurer Mädchen mir hinlegt. Verführer Nabu, du hast ja keine Ahnung. Männer haben mehr Geld. Ich hätte dir eine Chinapfanne ohne Geflügel spendiert, dich in meinem Testament bedacht. Vorher hätten wir gemeinsam noch die Störche retten können. Aber dich haben sie ja auf junge Frauen angesetzt.
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