Sammelstelle Auf 2.800 Quadratmetern beherbergt der Fundus des Filmstudio Babelsberg alles, was Filmemacher brauchen. Auch der Oscar-Gewinner "Inglourious Basterds" wurde hier ausgestattet
Die Uniformen, in denen die Nazi-Größen niedergemetzelt wurden, hängen ordentlich am Haken. Großkalibrige Einschusslöcher in der dicken Baumwolle der Hemden und Mäntel. Die Kugeln haben die roten Armbinden mit den schwarzen Hakenkreuzen in Fetzen gerissen. Das Blut ihrer Träger klebt noch daran, zu einer fingerdicken braunen Kruste getrocknet. „Tja, diese Stücke können wir jetzt wohl nicht mehr verleihen“, sagt Andre König, 35. Er grinst. Er ist Militärberater. Nicht bei den Alliierten des Zweiten Weltkriegs, sondern im Kostümfundus der Filmstudios Babelsberg.
H wie Hitlerbüste
Die lädierten Uniformen sind Überbleibsel eines Massakers, das der amerikanische Kultregisseur Quentin Tarantino inszeniert
rantino inszeniert hat. In seinem jüngsten Werk Inglorious Basterds schreibt er die Geschichte um. Er lässt Adolf Hitler, Joseph Goebbels und andere Köpfe des Naziregimes in einem Pariser Kino erschießen – von einer jüdischen Spezialeinheit. Der Film ließ die Historiker erschauern, die meisten Kritiker jedoch feierten ihn als Tarantinos besten seit Pulp Fiction. Stars wie Brad Pitt und Diane Kruger treten auf, der Österreicher Christoph Waltz wird für seine Darstellung des SS-Judenjägers Hans Landa wohl den Oscar bekommen. Sie alle leben und sterben in einer Leinwandwelt, die in einem Vorort von Potsdam liegt. Denn Inglorious Basterds wurde in den Babelsberger Studios gedreht, und auch die meisten Requisiten und Kostüme stammen von hier.Die Schätze liegen unter Wellblech. Drei schmucklose Hallen, jede zweistöckig mit 2.800 Quadratmetern Nutzfläche, beherbergen alles, was Filmemacher brauchen. In der Halle für Kleinrequisiten liegen mehr als eine Million Teile, keiner weiß es genau. Aber am Eingang hängt eine Urkunde vom Guinness-Buch der Rekorde. Da steht diese große Zahl schwarz auf weiß. Dahinter beginnt ein Labyrinth aus Gängen, in dem man sich selbst verliert, aber alles findet. Von A wie Aschenbecher bis Z wie Zahnstocher. Es gibt auch H wie Hitlerbüste.Ballkleid, Streetwear, UniformIn der benachbarten Möbelhalle stehen gut 8.000 Schränke, Betten und Stühle. Stücke aus jeder Stilepoche. Kunstvoll bemalte Paravents, Rikschas und Pferdekutschen. Und eine komplett ausgestattete, begehbare DDR-Plattenbauwohnung im Stile der Siebziger. In Halle 3 hängen 250.000 Kostüme. Plus Schuhe, Taschen und Accessoires. Vom barocken Ballkleid bis zum Basketballstiefel im Neon-Look. Alles da. Und die 35.000 Uniformteile. Ritterliche Kettenhemden, Wikingerhelme, Waffenröcke aus der Bismarckzeit. Pickelhauben aus dem deutschen Kaiserreich neben englischen Stahlhelmen aus dem ersten Weltkrieg. Und die Nazi-Uniformen.„Da kommt natürlich nicht jeder ran“, sagt Andre König. „Für Privatpersonen ist das hier alles tabu.“ In Cordhose und Schlabberpulli läuft der studierte Historiker an Kleiderstangen entlang, die dicht behängt sind mit bestickten Sakkos, Ledermänteln und Braunhemden. „Diese Sachen werden nur an seriöse Produktionsfirmen verliehen, die wir gut kennen.“ Nazi-Symbole sind in Deutschland verboten, aber für Filmemacher macht man eine Ausnahme. König berät sie, damit sie nichts falsch machen. Direkt neben der Haute Couture des Dritten Reichs finden sich NVA-Mäntel und strahlend blaue FDJ-Hemden. Insignien zweier überkommener Systeme, die so gegensätzlich waren und sich doch in manchem ähnelten. Sie hängen da und warten darauf, dass jemand kommt und ihre Geschichte wieder lebendig werden lässt.Jagen, sammeln, hortenDabei sind die Babelsberger Filmstudios selbst Teil der Geschichte, die sich in ihren Requisitenkammern widerspiegelt. Gegründet wurden sie 1911, in den goldenen Zwanzigern entstanden hier Klassiker wie Der blaue Engel mit Marlene Dietrich, oder das Science-Fiction-Epos Metropolis von Fritz Lang. In der Nazizeit wurden Propagandastreifen gedreht, etwa die antisemitische Literaturverfilmung Jud Süß. Bereits damals gab es einen umfangreichen Fundus. Ende des Zweiten Weltkriegs wurde er zerstört und geplündert. Dann besetzten die Russen das Gelände. Im Frühjahr 1946 gründete sich die DEFA, die staatliche Filmgesellschaft der DDR. Um die ostdeutschen Hirne mit den Mitteln des Films vom Faschismus zu befreien, brauchte man neue Requisiten. Es wurde wieder gejagt und gesammelt und gehortet.Peter Weinert, 44, kennt jeden Winkel seines Fundus, wie ein Lebenslänglicher seinen Knast. Weinert, grüne Augen, dünner Schnurrbart, kam 1982 nach Babelsberg. Er war noch ein Teenager, als er in den Werkstätten der Filmstudios seine Tischlerlehre begann. Die Leidenschaft für Filme hatte ihn damals noch nicht gepackt: „Eigentlich wollte ich nur nicht am Fließband enden.“ Also ging er an die Werkbank. Es gab viel zu tun, die DEFA produzierte 17 Filme pro Jahr in der Babelsberger Kinostadt. Das stand fest in der Planwirtschaft. Das Volk musste aufgeheitert und bei der Stange gehalten werden. Das Budget war ausreichend, und der Fundus wuchs und wuchs.Sofas in bunt, rund, eckigNach der Wende kauften private Investoren die Studios, mit allem Drum und Dran. Zum Glück für Peter Weinert und seine zehn Kollegen. Mittlerweile ist der drahtige Mann ein richtiger Filmfreak, der die Streifen analysiert wie ein Chemiker das Bier. „Abends guck ich Fernsehen – und ich weiß genau: Das ist von uns, und das und das. Letztens lief ein DDR-Streifen von 1973 – die Möbel stehen hier heute noch.“Weinerts Eckbüro sieht selber aus wie eine Kulisse. Sein Rechner steht auf einem massiven Eichentisch, dessen Platte kunstvoll geschnitzte Fabelwesen stemmen. Er klickt Ordner voller Fotos durch, hunderte Sofas und Couches flimmern über den Bildschirm. Mal rund, mal eckig, die Polster in allen Farben des Regenbogens. Gemeinsamkeit: Sie sind alt. „Bei uns beginnt Filmgeschichte vor zwanzig Jahren. Wir sind ein historischer Fundus. Wer Designersofas sucht, der ist hier an der falschen Adresse.“Der Fundus ist ein DinosaurierMit der Wende kam die Globalisierung. Weinert bearbeitet jetzt Anfragen von London bis Litauen. Und wenn an einer antiken chinesischen Rikscha ein Rad bricht, schickt er sie an einen Spezialisten in Tschechien. Weinert liebt seine Möbel, er ist mit ihnen groß geworden. Und wenn etwas kaputt vom Dreh zurückkommt, was sehr oft geschieht, dann tut ihm das weh. Auch das habe die Wende mit sich gebracht: „Die Sorgfalt ist verloren gegangen.“ Filmemacher haben weniger Zeit, sie müssten schneller und beweglicher sein. „Nur der Fundus nicht. Der ist ein Dinosaurier.“Chef in diesem stillen Traumlandpark ist Eckhard Wolf, 59. Mit seinem schwarzen Rollkragenpulli und der gerahmten Brille sieht er aus wie ein Architekt. Das ist er auch, Filmarchitekt. In der DDR war das ein Ausbildungsberuf. Wolf war lange beim Fernsehen, er hat Sets gebaut. Vor allem für den Polizeiruf 110, früher das ostdeutsche Pendant zum Tatort, jetzt auch eine Krimireihe der ARD.Die Wucht der WendeWenn es in den Fernsehstudios im Ostberliner Stadtteil Adlershof etwas nicht gab, fuhr Wolf raus nach Babelsberg. Dort bekam er, was er wollte. „Bei uns im Osten wurde ja nie was weggeschmissen. Immer nur repariert. Von dieser Mentalität hat der Fundus mächtig profitiert.“Die Wucht der Wende warf Wolf aus der Bahn. Das DDR-Fernsehen wurde abgewickelt, er verlor seinen Job. Er baute er Kneipentresen und Ausstellungswände. Als sich in Leipzig der neue MDR formierte, war Wolf wieder im Spiel. Vor sieben Jahren wurde ihm der Job in Babelsberg angeboten. Seitdem ist er der Mann, zu dem Hollywood seine Ausstatter schickt, wenn deutsche Geschichte verfilmt wird. Der Vorleser mit Kate Winslet, Operation Walküre mit Tom Cruise, Roman Polanskis Der Pianist – historische Stoffe, große Filme, im Babelsberger Look. „Das 20. Jahrhundert ist eben unsere Stärke“, sagt Wolf, nicht ohne Stolz. Auch im Baader-Meinhof-Komplex steckt mehr Babelsberg als Stammheim.Die Sachen sind die StarsStars interessieren Wolf nicht. Seine Stars sind die Sachen: Die Schreibmaschine, auf der Ulrich Mühe als Stasi-Oberst in Das Leben der Anderen die Abhörprotokolle tippt. Das Telefon, mit dem Christoph Waltz in Inglorious Basterds die vertraglichen Konditionen seines Verrats besiegelt. „Schauspieler und Hauptrequisiten bringen die Amerikaner immer selber mit. Aber der Background ist das, was Filme lebendig macht. Und den gibt es hier.“Wer verstehen will, warum Eckhard Wolf ein gefragter Mann ist, der braucht ihm nur einen gedachten Drehort ins Ohr zu flüstern. Französisches Hotelzimmer der Dreißiger Jahre? Sofort produziert er eine glitzernde Assoziationskette: „Hohe Fenster, Lamellenfensterläden, französischer Balkon, eiserne Gitterbrüstung, Schrankkoffer, viel Plüsch, eine Chaiselounge, Nachthemd aus Seide auf dem Bett, im Hintergrund der Eiffelturm.“ All das hat er da, er hat das augenblicklich mit den Beständen abgeglichen. „Um hier zu arbeiten, braucht man ein fotografisches Gedächtnis.“Die Digitalisierung des Fundus steckt noch in den Kinderschuhen, nur knapp die Hälfte der Möbel ist fotografiert und in eine Datenbank eingespeist. Und laufend kommen neue Stücke hinzu: „Zurzeit bin ich an einem Biedermeier-Sekretär dran. Aber die tausend Euro dafür muss ich auch erstmal verdienen!“In Babelsberg ist Geschichte eine AchtTäglich gehen Dinge rein und raus. Ab und an sind böse Überraschungen dabei. Vergangenes Jahr fand bei der Verfilmung des Theaterstücks Staats-Sicherheiten einer der Darsteller unter den Requisiten seine eigene Stasi-Akte. Das Material kam aus dem Babelsberger Fundus. Es gab einen Skandal. Ermittler der Birthler-Behörde rückten an, sie entlasteten Wolf und seine Mitarbeiter: „Es hat sich rausgestellt, dass der Schauspieler seine Akte selbst an eine Produktionsfirma gegeben hatte. Zusammen mit ausgeliehenen Requisiten gelangte eine Kopie in unsere Bestände. Wir haben sie dann, zusammen mit von uns nachgemachten Akten, weiterverliehen – und plötzlich hielt der Mann seine Akte in den Händen.“Wolf hat sich über den Vorfall sehr geärgert, vor allem über die Vorwürfe der Medien. Alle seiner Mitarbeiter wüssten genau, was für eine Verantwortung ihre Arbeit mit sich brächte. Denn im Requisitenfundus ist Geschichte kein Zeitstrahl, dessen weiter zurückliegende Abschnitte verblassen wie die Kondensstreifen eines Düsenjägers. In den Babelsberger Hallen ist Geschichte eine Acht, eine Endlosschleife. Und auch was dunkel ist, bleibt sichtbar. „Glauben sie mir“, sagt Wolf, „wenn ich in der Kostümhalle an einem KZ-Pyjama vorbeilaufe, bekomme ich jedes Mal eine Gänsehaut.“Stimmengewirr bricht in die Stille. Wolf öffnet seine Bürotür. Der junge Pressesprecher der Filmstudios steht im Vorzimmer und feixt mit den Sekretärinnen. „Acht, wir haben acht“, ruft er. Gerade sind in Los Angeles die Oscar-Nominierungen bekannt gegeben worden. Inglourious Basterds kommt nun für acht der begehrten Goldstatuen in Frage. „Nicht schlecht,“ murmelt Wolf in seinen grauen Stoppelbart. Dann kichert er, Pressesprecher und Filmarchitekt klatschen sich ab wie zwei Schuljungen. Wieder ist es das dunkle Gestern, das mit dem Heute eine seltsame Allianz eingeht. Und ihm Glanz verleiht.
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