Nennen

Linksbündig Der Überfall von Potsdam und die Suche nach Worten

Aufs Substantiv kommt es an. Die Berichterstattung über die rassistische Attacke auf Ermyas M. in Potsdam am Ostersonntag zeigte, dass viele Medien sich schwer tun, den Überfall und vor allem den Angegriffenen angemessen zu benennen. Zumeist spricht man vom "Deutsch-Afrikaner" oder "Deutsch-Äthiopier". Diese Formulierungen zeugen von dem Bemühen um eine politisch korrekte Sprache. Sie unterliegen aber einem kapitalen Missverständnis, suggerieren sie doch, der Mann sei teilweise ein Äthiopier oder ein Afrikaner und eben nur teilweise ein Bundesbürger. Das Substantiv "Deutscher" wird ihm nicht zugeschrieben. Wieder einmal zeigt sich, dass ein deutscher Pass nicht reicht, um dazu gezählt zu werden, zumal in einem Land in dem Staatsbürgerschaft lange über das ius sanguinis, das Blutrecht, bestimmt wurde.

In Deutschland fehlen allgemein anerkannte Sprachkonventionen, wie es sie etwa in den USA gibt. Im Gefolge der Bürgerrechtsbewegung baute das Land nicht nur zahlreiche institutionelle Diskriminierungen ab, sondern verzichtete auch auf stigmatisierende Begriffe. Schwarze Bürger etwa heißen offiziell "African Americans", die so genannten "Indianer" "Native Americans". Wichtiger aber sind die gesellschaftlichen Prozesse, die sich in solchen verbalen Übereinkünften spiegeln - oder eben darin, dass sie nicht erzielt wurden. So erscheint es hierzulande immer noch schwer vorstellbar beides, schwarz und deutsch zu sein. Doch tatsächlich lebten noch 1933 bis zu 20.000 Afrodeutsche auf dem Gebiet des seiner Kolonien verlustig gegangenen Reiches, teilweise waren sie politisch organisiert, etwa im "Internationalen Roten Gewerkschaftsbund der schwarzen Arbeiter". Schon Ende der dreißiger Jahre zählten sie nur noch 1.000. Die Nazis erließen Sondergesetze, unterzogen Hunderte Kinder einer Zwangssterilisierung und wiesen zahlreiche Afrodeutsche in KZs ein. Ähnlich behandelten sie auch jene französischen Soldaten, die aus den Kolonien stammten. Zuweilen wurden sie bei der Gefangennahme von ihren weißen Mitkämpfern getrennt und umstandslos massakriert. Und noch 1950 erwog das westdeutsche Innenministerium, die Kinder schwarzer GIs und weißer deutscher Frauen "nach Afrika oder Amerika" zu bringen. Heute leben wieder bis zu 500.000 Afrodeutsche im Bundesgebiet.

Sollte man Unterschiede überhaupt benennen? Oder wäre es besser, das Gemeinsame zu betonen? Nein, denn neonazistische Gewalt und rassistische Ausgrenzung richten sich gegen konkrete Personen. Sie dürfen nicht in einem diffusen Bedrohungsszenario (im Sinne von Wolfgang Schäubles "extremistischer Gewalt") unsichtbar gemacht werden. Für sie muss es Begriffe geben. Die Wahl der Worte rückt somit in den Rang einer politischen Entscheidung. Da es keine allgemeine Übereinkunft gibt, kann man sich an zwei Kriterien orientieren. Klar muss sein, die Benannten gehören dazu, sind Teil der Gesellschaft, keine Fremden. Beim Potsdamer Beispiel könnte dies der Begriff "afrodeutsch" leisten. Wenn möglich, sollte man sich an Selbstbezeichnungen orientieren, beispielsweise am Sprachgebrauch der "Initiative Schwarze Menschen in Deutschland".

Es trifft auch nicht den Kern, die Potsdamer Tatverdächtigen als "Ausländerfeinde" (Bild) zu bezeichnen. Die Rede von der "Ausländerfeindlichkeit" verschleiert mehr als sie offenbart. Denn sie besagt im Kern: Menschen kommen in ein fremdes Land, dessen Bewohner teilweise feindselig reagieren. Ohne die Neuankömmlinge wäre die Reaktion der Alteingesessenen nicht denkbar, also tragen die Opfer einen Teil der Schuld. Tatsächlich aber geht es um Rassismus, also um etwas, das sich in einer Gesellschaft auch ohne die "Fremden" reproduziert. Rassismus bedarf nicht der physischen Präsenz von Migranten, er ist eine Ideologie. Von ihr redet man nicht gerne, erfordert sie doch mehr als das jetzt beschworene harte Durchgreifen gegen Gewalttäter und mehr als artige Imagekampagnen. Rassismus muss man alltäglich wahrnehmen, ihm muss man alltäglich begegnen.

Dazu gehört, Vorgänge und Handelnde möglichst klar zu benennen. Es beinhaltet, die Opfer nicht durch um Korrektheit bemühte, aber sachlich falsche Formulierungen erneut auszuschließen. Es bedeutet, die Täter zu nennen und die hinter ihnen stehenden gesellschaftlichen Phänomene. Es meint, die Täter zu schwächen und sie ihrer Legitimation zu berauben. Genau das Gegenteil leistet Jörg Schönbohm, der sich immer noch weigert, bei dem Potsdamer Überfall von Rassismus zu sprechen.


Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden