Dass dem Amethyst als Kristall des Monats Februar schon bei den alten Griechen und Römern schützende Kräfte nachgesagt wurden, müssen wir nicht wissen. Aber der Rückzug ins leicht „Esoterische“ kann trotzdem gut tun
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Das Wichtige: der Kampf gegen die Pandemie. Was alles uns in den Ohren gellt beim Nachrichtenhören und Zeitunglesen. Alarm zum Schutz unserer Umwelt, Angst vor einer weltweiten Wirtschaftskrise, Unruhen und Hochrüstung im geopolitischen Tauziehen – und in der Flut von Informationen ein Ich, das sich ohnmächtig fühlt. Was soll da der „Schneemond“ im Februar, muss ich mich fragen. Müsste ich statt Mystical Year von Alison Davies nicht lieber Die Welt nach Corona von D. F. Bertz oder Letzte Chance. Warum wir jetzt eine neue Weltordnung brauchen von Gregor Schöllgen und Gerhard Schröder lesen? – Kann ich ja trotzdem. Ein bisschen Seelengymnastik ist doch nicht schlecht in diesen verrückten Zeiten.
Wobei „Sowohl-Als-auch“
Wobei „Sowohl-Als-auch“ im öffentlichen Bewusstsein momentan weit weniger zu zählen scheint als „Entweder-Oder“. Deine Gelassenheit, sagte mir mal ein Abteilungsleiter im nd, passt nicht zu einer Tageszeitung. Und deine Aufgeregtheit, wandte ich damals ein, blendet aus, dass alles mindestens zwei Seiten hat und wir manches auch nicht genau wissen. Inzwischen hat das Erregungspotenzial in den Medien um ein Vielfaches zugenommen. Die zuspitzende, abgrenzende Formulierung begründet sich in einer Realität voller Konflikte. Der Verständigung zuträglich ist sie nicht. Dass friedliches Miteinander ein Wert ist, der hochgehalten und erlernt werden muss, gilt unumschränkt wenigstens dort, wo es um Kinder geht. Wie ihre Persönlichkeit heute wichtig genommen wird, ist ein zivilisatorischer Fortschritt. Trotz aller sozialer Unterschiede. Ein Buch wie das von Katharina Grossmann-Hensel wäre zu meiner Kinderzeit niemandem in den Sinn gekommen. Wobei es in der DDR sehr schöne Kinderbücher gab, die neu aufgelegt im LeiV Verlag, bei Beltz und bei Eulenspiegel, zu „Longsellern“ wurden. Vom Angsthasen, dem neugierigen Entlein und unterschiedlichen Tieren war zu lesen, die Freunde wurden, aber das In-Sich-Hineinhorchen, um sich selbst zu erspüren, gehört zu einem Grad an Individualisierung, der zur angestrebten Gemeinschaftlichkeit nicht passte.Sowieso ist es ein Unterschied, was Kinder mit sich selbst erleben und was sie in Büchern wiederfinden. Kinderbücher werden von Erwachsenen geschrieben, verlegt und gekauft. Da ist Katharina Grossmann-Hensel, 1973 in Mühlheim an der Ruhr geboren und 2016 mit dem Weltillustrationspreis der Frankfurter Buchmesse ausgezeichnet, mit „Ich hab da so ein Gefühl“ ein Angebot für jedes Alter gelungen. „Ich horche in mich hinein. Manchmal höre ich was. Manchmal höre ich nix. Gefühle. Was ist das eigentlich und woher kommen die?“ Ein neuer Tag beginnt. Zufrieden? Oder noch müde? Oder beides gar? Ein Kind wirft sich auf den Boden, weil es nicht nach draußen will. „Na gut! Bleiben wir zu Hause!“ Irritiertes Gesicht: „Ich will aber nach draußen“, brüllt die Kleine da. Wie ist das zu verstehen? Dass es eben widersprüchlich in uns zugeht, auch wenn Erwachsene das besser kontrollieren können. Schön wäre es, wenn wir nur angenehme Gefühle hätten. „Gehört alles zusammen“, sagt die Mama im Buch. „Kann man nix machen.“„Fröhlich? Aufgeregt? Ärgerlich? Wütend? Gelangweilt? Neugierig? Wie gut hat Grossmann-Hensel die verschiedenen Stimmungen ins Bild gebracht, wie klug schreibt sie über Traurigkeit und Wut. Wie viel Witz steckt in ihrem Bild, auf dem sich Erwachsene in einem Einkaufszentrum wie Kinder benehmen. Was tun, wenn man sich ausgeschlossen fühlt, wenn man Angst hat? Gibt es für jeden Streit eine Lösung? Manchmal will jemand einfach nur Ruhe. Wie erkennt man, was andere brauchen? Indem man sich erst einmal der eigenen Gefühle gewahr wird – in ihrer Besonderheit und Allgemeingültigkeit. „Alle fühlen etwas. Überall auf der Welt … Das verbindet uns. Fühlst du das?“Die Menschen im Buch tragen keine Masken. Wie würden wir unsere Gefühle zeigen nur mit den Augen, durch Gesten? „Abstand ist Anstand“ steht auf einem Plakat. „Liebe dein Home-Office“, wirbt ein Möbelhaus im Internet. Diese Abgeschirmtheit – ob sie womöglich zur Einübung wird? Immerhin kann man auf windumwehten Waldwegen mehr Leuten begegnen als früher. Wären sonst in die Ferne geflogen und genießen nun die heimische Natur. Dass es „Imbolc“, das keltische Mondfest, gibt, müssen sie nicht wissen, auch dass dem Amethyst als Kristall des Monats Februar schon bei den alten Griechen und Römern schützende Kräfte nachgesagt wurden. Die Tarot-Karte für Februar, den Mond, braucht man nicht zu kennen, um in den Schneeglöckchen Verheißung zu spüren. Schon durch die großartigen Illustrationen von Anastasia Stefurak ruft Mystical Year danach, in die Hand genommen zu werden. Esoterik? Das ist auch so ein Begriff, der auf Abgrenzung zielt. Hol dir aus diesem Band, was zu dir passt. Dass er streng rationalen Menschen fremd ist, geschenkt. Gewiss gibt es Studien, in denen die mythischen Traditionen verschiedener Völker stärker systematisiert, nicht so vermengt sind wie hier. Aber dieses Verbindende existiert. Der Schnee- oder Hungermond der Native Americans versinnbildlicht winterliche Not ebenso wie Hoffnung auf bessere Zeiten. „Das Rad des Jahres dreht sich weiter, und so wie die Jahreszeiten wechseln werden, wird sich auch deine Situation verändern!“
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