Neuartige Produktionsverhältnisse

Theatertreffen Wer heute oben mitspielen will, setzt auf globalisierte Koproduktionen
Ausgabe 06/2019

Der Bekanntgabe der zehn Einladungen zum Theatertreffen 2019 folgten die üblichen Fragen: Wer ist nicht dabei, was überrascht? Inzwischen wird verlässlich auch die „Frauenquote“ unter den bemerkenswerten Regietaten im deutschsprachigen Theater in die Diskussion geführt. Diesmal drei von zehn, rechnet man das überwiegend weibliche Künstlerkollektiv von She She Pops Oratorium als eine Einheit.

She She Pop, die während des Bestenfestivals zudem den Berliner Theaterpreis der Stiftung Preußische Seehandlung erhalten, stehen dabei auch für einen Trend im Theater der sogenannten Freien Szene jenseits der Stadt- und Staatstheater. Traditionell ist das HAU die Basisstation für She She Pop Internationale Koproduktionen wie beispielsweise zwischen HAU und Theaterfestivals haben solchen Truppen inzwischen gute Budgets und garantierte Auftrittsmöglichkeiten verschafft, die alle Grenzen der meisten Stadttheaterinszenierungen überfliegen. Im Fall von Oratorium wird die Rekordzahl von elf mitproduzierenden Einrichtungen gemeldet – von den Münchner Kammerspielen über das Schauspiel Leipzig bis hin zu zwei Festivals in Polen und Bulgarien.

Die Produktion der Berliner Sophiensäle von Thorsten Lensings Theateradaption Unendlicher Spaß (ein ernsthafter Versuch mit David Foster Wallace) weist zwischen dem Schauspiel Stuttgart, dem Schauspielhaus Zürich und dem Theater in Luxemburg noch sechs weitere Beteiligte aus. Und auch Girl From The Fog Machine Factory des Schweizer Theaterzauberers und passionierten Nebelmaschinensammlers Thom Luz listet sechs einheimische Mitproduzenten neben dem Sommerfestival auf Kampnagel in Hamburg auf. Wer in dieser Liga spielt, trägt Geld zusammen und hat zugleich noch eine Tournee organisiert – der mit der Einladung zum Theatertreffen eine zweite Runde sicher sein dürfte.

Ivan Nagel ahnte es

Der 2012 verstorbene Theaterphilosoph Ivan Nagel (einer der wenigen, die wir hatten) führte in seinen Essays Überlegungen zum Zusammenhang von vorherrschenden Produktionsweisen in der Gesellschaft und denen im Theater an. Das Stadttheater (mit dem Gipfel Max Reinhardt) verglich er mit hocheffizienter Industrieproduktion und verortete folglich den Höhepunkt dieser Produktionsweise in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Für die Zukunft sah er das Theater der kleinen Truppen voraus, „die Arbeit kleiner übersichtlicher Teams“, die er, etwa in einem Aufsatz von 2005, mit den innovativen Firmen im Silicon Valley verglich. Keine dieser Firmen hätte ohne internationale Märkte überlebt, manche sind sogar gefürchtete Titanen unserer Gegenwart geworden. Dass das Theater der Truppe sich bald auch nach neuen Finanzierungsmodellen und Distributionswegen umsehen würde, beschrieb er noch nicht. Aber in diesem Theatertreffen-Jahrgang haben wir das vor Augen wie noch nie.

In der Dimension der dafür extra noch mit vielen Gastkünstlern und Musikern besetzten Inszenierung von Ulrich Rasches Das große Heft (nach dem Roman von Agota Kristof) steht das Staatsschauspiel Dresden dieser Richtung gar nicht so fern. Auch hier wurden auf außerordentliche Weise Schauspieler und der für Rasches Theater typische, aber enorm aufwendige Bühnenbau der bewegten Plateaus zusammengebracht – freilich innerhalb eines Staatstheaters, das damit an seine Grenzen kam, wie der Intendant Joachim Klement mehr oder weniger stolz bald nach der Premiere gestand. Überhaupt, dass Dresden nun gleich zweimal dabei ist, was es in der Geschichte des Theatertreffens als Einladung von zwei Inszenierungen eines ostdeutschen Theaters noch nie gab, macht Staunen. Sebastian Hartmanns freie Dostojewski-Adaption Erniedrigte und Beleidigte ist zu Recht eingeladen. Das Dresden-Doppel lässt freilich auch fragen, ob es nun nach Jahren der medialen Pegida-Perforierung aller Berichterstattung über die Landeshauptstadt plötzlich einen Sachsen-Bonus bei der Jury gab. Das kann man angesichts des künstlerisch Bemerkenswerten getrost abwinken, hätte es sich aber irgendwie schon früher gewünscht. Denn dass der Osten zu wenig dabei ist, gehört praktisch seit der Wiedervereinigung zu den Dauerklagen über das Theatertreffen. Jetzt mal anders auf die Verhältnisse schauen, bitte schön!

Info

Theatertreffen Berlin Berliner Festspiele 3. Mai bis 19. Mai 2019

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