Ein Trost bleibt: Der EU-Haushaltsgipfel von Brüssel war nur der Anfang, nicht das Ende des Streits um die Finanzen der Europäischen Union. In dieser Staatengemeinschaft leistet man sich den Spaß einer gespalteten Budgethoheit – der Europäische Rat und das Europäische Parlament haben beide das Sagen. Einigen konnten sich vorläufig – das verdient hervorgehoben zu werden – nur die 27 Regierungschefs im Rat, darauf nämlich, den von der EU-Kommission vorgelegten Haushaltsentwurf auf 960 Milliarden Euro zusammenzustreichen. Die EU-Parlamentarier haben zu verstehen gegeben, dass sie den faulen Kompromiss nicht absegnen wollen. Ihr Unmut artikuliert sich parteiübergreifend. Und er reicht von den Konservativen der Europäischen Volkspar
olkspartei (EVP) über die Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE) sowie die Grünen bis zum linkssozialistischen Parteienbündnis. Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) hat sich mit seinem Protest schon während des Gipfels in Brüssel weit aus dem Fenster gelehnt.Nach dem geplatzten Budgetgipfel vom November 2012 geht es diesmal um die Wurst. Misslingt ein Konsens über den nächsten Haushalt der EU – also den mehrjährigen Finanzrahmen MFR von 2014 bis 2020 –, dann muss die Staatenunion ab 2014 mit Jahresbudgets operieren. Das würde bedeuten, der Kampf um die Milliarden findet alle Jahre wieder statt, wobei sich an den Frontverläufen wenig ändern dürfte. Die großen Nettozahler – Großbritannien, Deutschland und die Niederlande – bestehen darauf, ihre nationale Sparpolitik in den Rang einer EU-Norm zu erheben. Frankreich, Italien und die anderen Mitglieder plädieren für eine der Krisenlage angemessene Wachstums- und Strukturpolitik in der Union. Auch die EU-Kommission hält nichts von einem Sparbudget, das den Staatenbund für die kommenden Jahre lähmt – sie will gemeinsame Zukunftsinvestitionen.Beitragsrabatte verteidigtGesiegt haben vorerst die Sparwütigen. Von der Billion des Kommissionsentwurfs sind 960 Milliarden Euro geblieben, genau ein Prozent des erwarteten Bruttoinlandsprodukts (BIP) der EU in den kommenden sieben Jahren und zwölf Milliarden weniger als noch bei einem möglichen Kompromiss im November 2012 vorgesehen. Wie groß der Aderlass sein wird, lässt sich den 994 Milliarden Euro entnehmen, auf die sich der EU-Haushalt in der Vorperiode 2007 – 2013 belief. Auffallend groß ist die Differenz zwischen den jetzt vereinbarten 960 Milliarden an Zahlungsverpflichtungen der EU-Länder für den Haushalt und den 908,4 Milliarden an tatsächlichen Zahlungsermächtigungen für die Brüsseler Zentrale – da klafft ein Loch von 52 Milliarden. Auf Deutsch: die EU-Kommission wird nach diesem Konzept in den nächsten sieben Jahren weniger auszahlen können, als der Haushalt an Mitteln ausweist. Und Schulden machen dürfen die Kommissare bekanntlich nicht.Kanzlerin Angela Merkel freute sich in Brüssel, die Mittel aus dem EU-Regionalfonds, die in strukturschwache ostdeutsche Regionen fließen, verteidigt zu haben. Der britische Premier David Cameron prahlte mit dem „Britenrabatt“ (er lag zuletzt bei 3,6 Milliarden Euro), bei dem es nicht die geringsten Abstriche gab. Beide betreiben Europa- als nationale Interessen-Politik und haben die Vorzüge dieser Praxis für die eigene Innenpolitik fest im Blick. So sind die Deutschen – wie die Niederländer, Schweden und Österreicher – gleichfalls Sieger im Kampf um die Beitragsrabatte geblieben. Nach langem Drängen erhält Dänemark ebenfalls einen kleinen Discount.Alle anderen – nicht zuletzt Frankreich – reihen sich bei diesem üblen Spiel notgedrungen ein, solange sie ihre Besitzstände wie Agrarsubventionen und Zuschüsse aus den Regional- und Strukturfonds halten können. Auf der Strecke bleiben die geplanten Infrastruktur-Investitionen der EU für den Verkehr und transnationale Energie- wie Telekommunikationsnetze, für Forschung und Klimaschutz. Überall gibt es harte Einschnitte. Auch die EU-Beamten – im Vorfeld des Haushaltsgipfels Ziel wüster populistischer Attacken – müssen Sparmaßnahmen über sich ergehen lassen.Der EU-Aspirant Kroatien – das Land soll im Juli beitreten – weiß bereits, dass es seine Erwartungen auf konziliante Gemeinschaftshilfen herunterschrauben muss. Wie überhaupt anzumerken wäre, dass mit diesem Haushalt ein indirektes Veto gegen weitere Neuaufnahmen bis 2020 eingelegt wurde. Ob es sich um die ohnehin bereits resignierende Türkei oder die Balkanstaaten Serbien, Montenegro und Mazedonien oder einen Bewerber wie Albanien handelt – sie alle werden sich in einer Warteschleife einzurichten haben, die für mehr als ein Jahrzehnt Bestand haben dürfte.Verteufelte EurobondsUnd was ist davon zu halten, dass ganze sechs Milliarden Euro für das drängendste Problem der EU, eine exorbitante Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa, reserviert werden? Seit Jahr und Tag stehen Gelder aus den EU-Regionalfonds zur Verfügung, sich dieses Desasters zu erwehren. Wenn damit bisher kaum etwas erreicht wurde, sind sechs Milliarden für sieben Jahre nicht angemessen. Immerhin droht eine ganze Generation abgehängt zu werden. Die arbeitslosen 18- bis 30-Jährigen in Spanien, Griechenland oder Italien, aber auch in der Slowakei oder in Rumänien sind oft gut bis hervorragend ausgebildet – sie brauchen Jobs, keine teuren Umschulungen, wie das der EU-Kommission vorschwebt.Die deutsch-französische Achse hat mit diesem Haushaltskompromiss zweifellos weiter Schaden genommen, der deutsch-britische Schulterschluss führt zu nicht viel mehr als einer Achse der Neinsager. Irgendeine Art EU-Strategie haben weder Merkel noch Cameron. Es eint sie ein zuweilen fanatischer Irrglaube, jeder für sich und alle zusammen könnten sich aus einer Weltfinanzkrise und Rezession heraussparen. Don’t waste a good crisis, wie die Briten sagen.Merkel, Cameron, aber nicht minder der niederländische Premier Mark Rutte wollen sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, dem neoliberalen Mantra der Austerität eine breite europäische Bresche zu schlagen. Und das für lange Zeit. Diesem Ziel opfern sie bedenkenlos die Zukunft der Union. Das Dogma der Austerität droht nun auch das Zusammenspiel von nationalen Regierungen und europäischem Parlament zu beschädigen. Völlig zu Recht verlangen viele Europarlamentarier eine Finanzreform der EU, die das Gefeilsche um Beiträge, das unwürdige Spiel um Rabatte und sonstige Besitzstände beendet. Dazu freilich braucht die EU mehr „echte Eigenmittel“ – das heißt, eigene Steuern. Sie müssten weit über die Einnahmen aus Zöllen und über die Anteile an der Mehrwertsteuer hinausgehen, die ihr derzeit zugutekommen. Eine EU-weite Finanztransaktionssteuer wäre ein Anfang. Oder man würde der EU das Recht einräumen, eigene Anleihen aufzulegen: die von der Regierung in Berlin seit Ausbruch der Eurokrise verteufelten Eurobonds.Nach Lage der Dinge bekommt das EU-Parlament weder das eine noch das andere. Bestenfalls werden die Abgeordneten einige seit Unzeiten fällige Reformen der Haushaltspraxis erreichen. Sie könnten das Recht erstreiten, nicht verausgabte Gelder ins nächste Haushaltsjahr bzw. auf andere Haushaltstitel zu übertragen, oder sich damit durchsetzen, den laufenden Siebenjahresplan bis 2020 zwischendurch revidieren zu können. Ballast aus grauer Vorzeit abzuwerfen, wäre ja schon etwas. Nur leider nicht genug, um die EU heil durch eine Weltdepression zu bringen.