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SPD Warum die SPD weiter um soziale Gerechtigkeit kämpfen muss – und um eine Mehrheit bei der Bundestagswahl
Angezählt: Martin Schulz
Angezählt: Martin Schulz

Montage: der Freitag; Material: Getty Images, Istock

Drei Wahlen hintereinander hat der Heilige Martin jetzt verloren. In NRW setzte es eine historische Ohrfeige für die Sozialdemokraten, Minus acht Prozent. Manche meinen, die Bundestagswahl sei schon gelaufen. Das sehen eine Reihe von AutorInnen um Gregor Gysi und Leander F. Badura, um Angela Richter und Friedrich Küppersbusch anders oder mindestens differenzierter. Von: Schützt uns vor der Kaltherzigkeit eines Christian Lindner bis Wir brauchen eine gerechte Steuerreform gehen die Meinungen. Lesen Sie hier den SPD-kritischen Elitenforscher Michael Hartmann – und im Print-Freitag die anderen Stimmen.

Gerechtigkeit muss mehr als ein Motto sein

Wenn die Wahl in NRW eines gezeigt hat, dann dieses: Es reicht nicht aus, soziale Gerechtigkeit zum zentralen Wahlkampfmotto zu machen, wenn man dieses Motto nicht mit konkreten Inhalten füllt. Dass die SPD die wesentlichen Teile ihres Steuerkonzepts erst einen Tag nach einer solch wichtigen Wahl vorstellen wollte, hat bestenfalls völliges Unverständnis, bei vielen potentiellen Wählern wahrscheinlich aber eher Misstrauen geweckt. Will die Partei bei den Bundestagswahlen überhaupt noch eine Chance auf ein gutes Ergebnis haben, muss sie jetzt im Detail aufzeigen, was sie ändern will, um mehr soziale Gerechtigkeit zu erreichen.

Wochenthema: Trotzdem! Warum die SPD weiter für soziale Gerechtigkeit kämpfen muss.

Mit Texten und Einwürfen von Angela Richter, Katrin Rönicke, Leander F. Badura, Wolfgang Michal, Friedrich Küppersbusch und Nikol Ljubic in der aktuellen Ausgabe.

Entscheidend sind in dieser Hinsicht immer die Steuern. Hier bietet sich eine Menge Spielraum für konkrete Änderungen. Das gilt vor allem in Hinblick auf die enorme Konzentration von Reichtum in Deutschland. In internationalen Vergleichen liegt unser Land hinter den USA stets auf Platz zwei oder drei, wenn es um die ungleiche Verteilung der Vermögen geht.

Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung entfällt auf das obere Prozent der Haushalte gut ein Drittel des Gesamtvermögens, allein auf das obere Promille ein Anteil von ungefähr 15 Prozent. Bei einem Gesamtvermögen von über zehn Billionen Euro ist das eine ungeheure Summe, die ein so kleiner Teil der Bevölkerung in seinen Händen hat. Es passt in dieses Bild, dass unter den 1000 reichsten Menschen der Welt die Deutschen die drittgrößte Gruppe nach US-Amerikanern und Chinesen bilden. Sie sind in dieser sehr exklusiven Personengruppe zwei- bis fünfmal so häufig vertreten wie Briten, Franzosen oder Japaner.

Die SPD hat Chancen vertan

Hier böten Erbschaft- und Vermögensteuer eine Chance, dauerhaft mehr soziale Gerechtigkeit herzustellen. Die erste der beiden Möglichkeiten ist von der SPD durch ihre Zustimmung zur weiterhin sehr großzügigen Erbschaftsteuerregelung für Familienunternehmen allerdings vertan worden. Wenn die Erbschaftsteuer für die hohen Vermögen jetzt als zentrales Element im neuen Steuerkonzept auftaucht, macht das, zurückhaltend formuliert, keinen besonders glaubwürdigen Eindruck.

Es wäre nun wichtig, bei der Vermögensteuer anzusetzen. Sie ist ja nie abgeschafft, sondern 1997 nur ausgesetzt worden. Das macht es eindeutig leichter, neue gesetzliche Regelungen zu verabschieden. Bei einer unteren Grenze von einer Million Euro pro Person wäre klar, dass 99 Prozent der Bevölkerung nicht betroffen wären. Dennoch würde bei einem entsprechenden Steuersatz eine hohe Summe herauskommen, um notwendige Investitionen in die Infrastruktur wie etwa kostenlose Bildung zu finanzieren.

Dann gehen die Reichen

Das Gegenargument lautet immer: Dann gehen die Reichen außer Landes und zahlen hier gar keine Steuern mehr. Das war in Hinblick auf den größeren Teil dieser Personen immer schon falsch. Die allermeisten mittelständischen Unternehmer, reichen Anwälte, Chefärzte oder leitenden Angestellten können diesen Weg nicht wählen, weil sie dann über die Hälfte des Jahres im Ausland leben müssten. Das dürfte ihnen nur schwerlich möglich sein.

Aber auch die Mehrzahl der Milliardäre wohnt im Land, weil die enge Bindung an das eigene Unternehmen das erfordert oder sonstige Gründe dafür sprechen. Die, die aus steuerlichen Gründen ins Ausland, vor allem in die Schweiz gezogen sind, könnte man steuerlich so behandeln, wie die USA das mit ihren Milliardären machen. Sie werden nach US-Recht besteuert, müssen also alles, was sie im Ausland an Steuern sparen können, in den USA nachzahlen. Deshalb wohnen von den reichsten 300 US-Bürgern auch nur drei im Ausland, von den 67 reichsten Deutschen dagegen 19. Das ließe sich ändern.

Zur Person

Michael Hartmann, Jahrgang 1952, ist Soziologe und Eliten-Forscher

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